Psychisch krank

Migranten besonders gefährdet

Psychisch krank durch Migration? Ja, sagen Fachleute. Sie bemängeln, dass es nach wie vor zu wenig Hilfen in der Muttersprache der Betroffenen gibt - und fordern Migrantenbeauftragte in den Kliniken.

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Migriert: Experten warnen vor psychischen Leiden.

Migriert: Experten warnen vor psychischen Leiden.

© Kai Koehler / Fotolia.com

BERLIN (dpa). Von Depression bis Schizophrenie: Migranten leiden fast doppelt so häufig unter psychischen Erkrankungen wie der Bevölkerungsdurchschnitt und sind nach Ansicht von Experten zudem medizinisch schlechter versorgt.

Das Problem: Vor allem Sprach- und Kulturprobleme führen offenbar dazu, dass Fehldiagnosen gestellt, die Therapieadhärenz leidet oder Therapien sogar komplett vorenthalten würden, kritisierte Professor Wolfgang Meier von der Uniklinik Bonn am Mittwoch.

Mehr kulturelle Öffnung im Gesundheitswesen sei dringend erforderlich, forderte der Psychiater auf einem Symposium der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin.

"Wir brauchen nicht nur dringend mehr muttersprachliche Therapeuten, sondern vor allem auch fachlich geschulte Dolmetscher für die Kliniken", forderte Maier.

Bislang gebe es die kaum, weil die Krankenkassen sie nicht extra honoriert werden. "Dann behilft man sich notgedrungen mit Angehörigen oder dem Bettnachbarn, aber das ist ja nicht dasselbe", berichtete die Psychiaterin Dr. Meryam Schouler-Ocak von der Charité Berlin.

Sie forscht seit Jahren zum Thema Migration und Krankheit und nennt Risikofaktoren für die hohe Zahl der Erkrankungen: Einsamkeit, Heimweh, Sprachprobleme, Arbeitslosigkeit, schlechte Bildung und Wohnverhältnisse.

Problem hoher Suizidraten

Häufig suchten Betroffene auch viel zu spät ärztliche Hilfe - aus Scham, Unwissenheit, oder auch deshalb, weil in ihrer Herkunftskultur ihr Leiden nicht als Krankheit gilt.

Belastbare Zahlen über die unterschiedlichen Auswirkungen auf Männer und Frauen gibt es bislang kaum. "Es scheint sich aber abzuzeichnen, dass Frauen insgesamt belasteter sind", sagte Professor Iris Calliess von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Bekannt ist, dass die Suizidrate unter jungen Türkinnen doppelt so hoch ist wie im Durchschnitt ihrer Altersgruppe. Ältere Türkinnen leiden deutlich häufiger unter somatisierten Beschwerden.

Und bei jungen Männern aus Osteuropa führen vor allem starke Suchtprobleme zu einer hohen Zahl von Selbsttötungen.

Seit den 1990er Jahren gebe es seitens der Forschung die Forderung, dass Einrichtungen und Kliniken eine interkulturelle Checkliste erfüllen, wozu neben mehr Personal nichtdeutscher Herkunft auch ein Migrantenverantwortlicher als Ansprechpartner gehört.

Doch bislang scheitere dies vor allem am Geld, kritisierten die Experten. "Dabei werden nicht behandelte Erkrankungen chronisch und dann erst recht teuer", sagt Schouler-Ocak. Schon heute seien Migranten deshalb häufiger arbeitsunfähig oder in Frührente.

In Deutschland leben 15,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, was etwa einem Fünftel der Bevölkerung entspricht. Die meisten von ihnen (16 Prozent) kommen aus der Türkei.

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