Leitartikel

Die Hürden der Personalisierten Medizin

Die systematische Kombination von spezifischer Diagnostik und Therapie ist eine große Hoffnung, effektivere Medizin zu bekommen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen stellen aber unangemessene Hürden dar.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Forschungsarbeit an speziellen diagnostischen Verfahren für die personalisierte Medizin.

Forschungsarbeit an speziellen diagnostischen Verfahren für die personalisierte Medizin.

© NiDerLander / fotolia.com

Personalisierte oder stratifizierte Medizin ist heute nicht mehr nur ein Hoffnungswert der fernen Zukunft, sondern in Teilen der Medizin, beispielsweise in der Krebstherapie, eine Realität. Freilich noch mit einem starken Entwicklungspotenzial.

Die Erwartung der Ärzte ist darauf gerichtet, dass die Wirksamkeit ihrer Behandlung durch präzisere Diagnostik vervielfacht werden kann, indem der Anteil der Therapieversager entscheidend reduziert wird.

Dem betroffenen Patienten kann eine wesentlich bessere Prognose über seine Heilungschancen gemacht werden. Patientengruppen, bei denen eine Therapie wahrscheinlich versagen würde, können besser identifiziert werden. Risiken und belastende Nebenwirkungen können vermieden werden.

Per Saldo ist die Kosten-Nutzen-Bilanz stratifizierter Medizin deutlich besser als die der konventionellen Therapie mit einem hohen Anteil von Non-Respondern.

Schrotschusstherapie ist von gestern

Eine Schrotschusstherapie mag man so lange akzeptieren können, wie sie vergleichsweise wenig Nebenwirkungen produziert und zu günstigen Preisen verfügbar ist.

Gerade dies sind aber nicht die Bedingungen, unter denen beispielsweise die moderne Krebstherapie stattfindet: Sie ist in jedem Einzelfall für den Patienten belastend und überdies teuer.

Mit den Optionen und Rahmenbedingungen der stratifizierten Medizin und der Bedeutung von Companion Diagnostics hat sich am Mittwoch die Jahrestagung der Korporativen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin beschäftigt.

Dieses Gremium ist insofern einzigartig, als es die Kompetenz der Ärzte und ärztlichen Wissenschaftler mit der der Arzneimittelhersteller und der Medizintechnik-Industrie verbindet. Denn erst durch das Zusammenwirken dieser drei Produktivkräfte entsteht eine moderne (Innere) Medizin.

Charakteristisch für die stratifizierte Medizin ist eine zumindest empfohlene, oft aber auch vorgeschriebene spezifische Diagnostik. Prominentes Beispiel dafür ist der HER2-Test zur Identifikation jener Brustkrebs-Patientinnen, die von einer Therapie mit Herceptin mit hoher Wahrscheinlichkeit profitieren.

Patientinnen ohne dieses Gen würden hingehen keinen Nutzen haben. Inzwischen gibt es etwa 20 Medikamente, überwiegend in der Onkologie, in denen der Einsatz von Companion Diagnostics empfohlen oder sogar vorgeschrieben wird.

Notwendig: Synergie zwischen Pharma- und Diagnostika-Industrie

Es gibt freilich auch Hindernisse, die die Entwicklung in diesem noch vergleichsweise jungen Zweig der Medizin behindern. Es mangelt noch an Zusammenarbeit zwischen Pharma- und Diagnostika-Industrie.

Eine idealtypische Situation, in der - wie bei Roche - Pharma- und Diagnostika-Sparte unter einem Unternehmensdach zusammenarbeiten, ist eine Seltenheit. Ideal wäre jedoch, das Know how systematisch schon ab den frühen Entwicklungsphasen eines Arzneimittels zu verknüpfen.

Hier ist es die Industrie, die Allianzen in der Forschung organisieren muss.

Aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen sind hinderlich, wie Dr. Michael Meyer, Vice President Health Policy bei Siemens, und Dr. Thomas Reimann von Pfizer, am Mittwoch in Wiesbaden deutlich machten.

Ein Arzneimittel, das eine arzneimittelrechtliche Zulassung hat, ist in der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung automatisch erstattungsfähig.

Es durchläuft anschließend freilich den Prozess der frühen Nutzenbewertung mit dem Ziel, einen angemessenen Erstattungsbetrag festzulegen.

Das Problem: Der Erlaubsnisvorbehalt für die ambulante Medizin

Ganz anders bei Diagnostika: Einerseits gelten ganz überwiegend (zumindest für In-vitro-Tests) bei weitem weniger strenge Anforderungen als bei Arzneimitteln, um den medizinischen Einsatz grundsätzlich zu rechtfertigen.

Dafür liegen die Hürden im Leistungsrecht der GKV deutlich höher und sind je nach Ort der Leistung auch noch unterschiedlich, also diskriminierend ausgestaltet.

Während für stationäre Leistungen der Verbotsvorbehalt gilt - eine Leistung zu Lasten der GKV also nur dann nicht erbracht werden darf, wenn sie ausdrücklich vom Gemeinsamen Bundesausschuss als medizinisch unzweckmäßig und nicht wirtschaftlich bewertet worden ist - gilt für die ambulante Versorgung der Erlaubnisvorbehalt.

Dort darf eine neue diagnostische Leistung nur dann erbracht werden, wenn erstens der Gemeinsame Bundesausschuss nach einer Evaluation zu einer positiven Bewertung gekommen ist und zweitens der Bewertungsausschuss von KBV und GKV-Spitzenverband die Leistung in den EBM aufgenommen hat.

Das führt zu erheblichen Verzögerungen. Das Fazit ist: Stratifizierte Medizin in der ambulanten Versorgung ist systematisch benachteiligt.

Anders ist es wiederum in der ambulanten spezialärztlichen Versorgung nach Paragraf 116b: Hier gilt wiederum, wie im Krankenhaus, der Verbotsvorbehalt.

Neue Option durch Paragraf 137e

Eine neue Option hat der Gesetzgeber mit dem Versorgungsstrukturgesetz in Paragraf 137e geschaffen: die Erprobung von neuen Untersuchungsmethoden.

Diese Regelung erlaubt es, dass eine neue Methode in einem vom Bundesausschuss befristeten Zeitraum, der der Evaluation dient, von den Kassen bezahlt wird. Voraussetzung ist allerdings ein positives Votum des Bundesausschusses - und eben das ist kein Automatismus.

Es bleibt dabei: Während in der stratifizierten Medizin Therapeutikum und Companion Diagnostic wie eine Einheit gesehen werden, sind die Bedingungen für die Zulassung in der realen (Krankenkassen-)Versorgung getrennt und auch nicht harmonisiert.

Hier bleibt, auf einem sehr speziellen Gebiet, eine Herausforderung für den Gesetzgeber. Wobei es eine Option wäre, Companion Diagnostics in die frühe Nutzenbewertung nach dem AMNOG einzubeziehen.

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