BMC-Vorsitzender Amelung im Interview

"Stiftung Warentest im Gesundheitswesen wäre sinnvoll"

Das permanente Ändern der Arbeitsbedingungen macht Ärzten zu schaffen - vor den negativen Folgen für Innovationen warnt BMC-Vorsitzender Professor Volker Amelung.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:

Professor Volker E. Amelung

'Stiftung Warentest im Gesundheitswesen wäre sinnvoll'

© BMC

Seit 2007 Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Managed Care

Seit 2001 Professor an der Medizinischen Hochschule in Hannover für Gesundheitsmanagement und Gesundheitssystemforschung

Studium der Betriebswirtschaftslehre in St. Gallen und Paris

Jahrgang 1965

Ärzte Zeitung: Herr Professor Amelung, warum tun sich aus Ihrer Sicht Innovationen im deutschen Gesundheitswesen so schwer?

Volker Amelung: Das würde ich gar nicht sagen. Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Handlungsspielräumen und Vertragsfreiheiten den Nährboden für mehr Innovationen im System bereitet.

Die Akteure haben ihrerseits ihre Kreativität unter Beweis gestellt und eine große Spannbreite innovativer Pilotprojekte auf den Weg gebracht. Von einem Mangel an guten Ideen und Modellen kann keine Rede sein.

Aber wo sind die Knackpunkte?

Amelung: Das Kernproblem sind nicht die Innovationen an sich, sondern entscheidend ist die Frage, wie wir erfolgreiche Projekte in die Fläche bekommen. Spätestens dann, wenn es darum geht, Modelle, die nachweislich die Kosten senken oder die Qualität steigern, auf eine relevante Größe zu bekommen, stoßen die Initiatoren auf oftmals unüberwindliche Hürden. Der Nährboden allein ist nicht ausreichend.

Was wir benötigen ist das zum Gedeihen notwendige investitionsfreundliche Klima. Stattdessen zeichnet sich das Gesundheitssystem durch ein extrem hohes Beharrungsvermögen aus. Das liegt auch am fehlenden Handlungsdruck. Schauen Sie sich die klassische Einzelpraxis an. Das einzige, was einem Orthopäden in Berlin-Zehlendorf passieren kann, ist, dass es zu viel Nachfrage gibt.

Zusätzlicher Aufwand durch neue Versorgungsmodelle - sei es in Form von Dokumentations- oder Qualifizierungspflichten - sind da maximal unattraktiv. Natürlich gibt es auf der anderen Seite auch Praxen, die um ihre Existenz kämpfen.

Über neue Versorgungsformen lässt sich aber in der Regel nur ein geringer Zusatznutzen generieren, da zumeist nur ein kleiner Teil der Patienten eines Arztes betroffen ist.

Was muss sich Ihrer Ansicht nach hier ändern?

Amelung: Die Abwehrhaltung vieler Ärzte kommt nicht von ungefähr. Schließlich sind die Dinge, die in den vergangenen Jahren für Ärzte besser geworden sind, relativ überschaubar. Demgegenüber sind zahlreiche Bürokratie treibende und destruktive Instrumente wie beispielsweise Regresse eingeführt worden.

Das permanente Ändern ihrer Arbeitsbedingungen, sei es das Vergütungssystem, seien es Dokumentationen oder Themen wie die Praxisgebühr, wird berechtigt als Ärgernis wahrgenommen.

Man braucht sich nicht zu wundern, wenn viele dazu tendieren, Neues erst einmal abzulehnen. Man kann kein gutes System aufbauen, wenn die zentralen Leistungserbringer demotiviert sind und sich schlecht behandelt fühlen. Dabei geht es gar nicht unbedingt um die Höhe der Vergütung, sondern um die Frage, ob das Honorierungssystem fair, verständlich und verlässlich ist.

Die Ärzte müssen wieder sagen können: Es macht Spaß, Arzt in Deutschland zu sein - und sich nicht mehr die Frage stellen: Wie komme ich nur so schnell wie möglich in die Schweiz?

Stichwort Koalitionsvertrag: Stößt der die Tür auf für eine Weiterentwicklung des Gesundheitswesens oder schreibt er den Status quo mit leichten Veränderungen fort?

Amelung: Es liegt in der Natur eines Koalitionsvertrags, dass es sich nur um ein Agenda-Setting handelt. So gesehen setzen die Koalitionäre in der Summe die richtigen Schwerpunkte. Letztlich entscheidend ist aber immer die Umsetzung. Ein gutes Beispiel ist der geplante Innovationsfonds. Richtig ausgestaltet kann er wirkungsvolle Impulse für die Ausbreitung neuer Versorgungsformen geben.

Bei falscher Ausgestaltung hingegen werden Fehlanreize gesetzt und die Mitnahmeeffekte hätten Mittelverschwendung zur Folge. Der Gestaltung des Regelungsrahmens kommt also hohe Bedeutung zu.

Schade ist, dass auf der letzten Meile Themen wie der Strukturfonds im stationären Sektor doch noch von der Klippe gesprungen sind. Bei der Telemedizin oder der Prävention hätte ich mir auch noch konkretere Vorschläge gewünscht.

Nicht sinnvoll ist die geplante Vier-Wochen-Frist für Wartezeiten. Das ist unausgegoren und trifft auch nicht den Kern.

Was wäre für Sie der Kern?

Amelung: Offenbar geht es doch darum, dass PKV-Patienten schneller einen Termin beim Facharzt bekommen als GKV-Patienten. Aber dann muss man an dieser Schraube drehen. Außerdem erscheint diese Frist auch nicht praktikabel und in vielen Facharztbereichen auch nicht angezeigt.

Aus Angst vor Zusatzbeiträgen haben die Kassen vor allem in den letzten vier Jahren auf der Innovationsbremse gestanden. Ändert sich das nun?

Amelung: Einige Kassen haben sehr schlechte Erfahrungen mit dem Zusatzbeitrag gemacht. Mit diesem Instrument hat man - zumindest in der heutigen Ausgestaltung - auf das falsche Pferd gesetzt. Statt den Wettbewerb zu forcieren, wirken die Zusatzbeiträge wie ein Damokles-Schwert, das jenen trifft, der sich als erster rührt. Versorgungsmodelle im Gesundheitswesen haben einen Wirkhorizont von drei bis fünf Jahren.

Das Denken in Jahresbudgets ist damit nicht vereinbar. Mit dem im Koalitionsvertrag gefundenen Kompromiss wurde eine durchaus elegante Lösung gefunden. Durch die Erhebung des kassenindividuellen Zusatzbeitrags in lohnabhängiger Form wird Preiswettbewerb ermöglicht, ohne dass die Krankenkassen befürchten müssen, bei Erhebung sogleich eine Austrittslawine loszutreten. De facto erhalten sie somit wieder mehr Beitragssouveränität zurück.

Die Orientierung an der Qualität klingt im Koalitionsvertrag als eine Art Leitmotiv durch. Trägt dieses Motiv oder bleibt es an vielen Stellen bei politischer Ankündigungslyrik?

Amelung: Qualität ist leicht gefordert, aber extrem schwierig in der Umsetzung - wie zum Beispiel die qualitätsorientierte Vergütung. Hier sollte man den Ball flach halten und erst einmal schauen, was überhaupt machbar ist und in welchem Maße. Eine Stiftung Wartentest im Gesundheitswesen wäre eine ausgesprochen sinnvolle politische Aufgabe.

Zum Schluss noch ein Blick ins Ausland. Warum heißt es, dass Innovationen dort besser ins System gelangen?

Amelung: Es geht nicht darum, ob das englische oder niederländische Gesundheitssystem besser oder schlechter ist als unseres. Das führt doch zu nichts. Was interessant ist, sind Impulse. Welche Erfahrungen haben andere gemacht? Einige Gesundheitssysteme sind bei manchen Themen pragmatischer und haben weniger Blockaden beim Denken. Zum Beispiel Delegation und Substitution.

Da können wir international lernen und Ängste abbauen: Systeme brechen nicht zusammen, wenn eine qualifizierte Pflegekraft mehr Aufgaben übernimmt. Aber es ist für den Arzt extrem entlastend, wenn er sich auf seine Kerngebiete konzentrieren kann. Dadurch ließen sich nicht nur Prozesse effizienter gestalten, sondern auch die Attraktivität des Arztberufes steigern. Allein in der Schweiz gibt es ein halbes Dutzend spannender Konzepte, bei denen es sich aus deutscher Perspektive lohnen würde, genauer hinzuschauen.

Der Kongress des Bundesverbandes Managed Care (BMC) unter dem Titel "Gesundheitsreform 2014 - Wer traut sich an Sektorengrenzen?" findet am 21. und 22. Januar in Berlin statt. Die "Ärzte Zeitung" ist Medienpartner des Kongresses.

www.bmcev.de

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