Krebstherapie

Die erste Hürde für die Psyche ist genommen

Seit Ende Januar steht sie bereit: Die S3-Leitlinie für die psychoonkologische Versorgung. Doch das darf nicht der letzte Schritt sein, warnen Experten. Immer noch gebe es viele Barrieren in der Versorgung der Krebspatienten, die eine psychische Behandlung brauchen.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Psyche angeschlagen? Experten fordern mehr Maßnahmen in der Psychoonkologie.

Psyche angeschlagen? Experten fordern mehr Maßnahmen in der Psychoonkologie.

© Fuse / Thinkstock

BERLIN. Knapp 500.000 Menschen erkranken jedes Jahr neu an Krebs - Tendenz steigend. Etwa 25 bis 30 Prozent aller Krebspatienten entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung behandlungsbedürftige Störungen oder ausgeprägte psychosoziale Beeinträchtigungen.

Bislang kann Experten zufolge der Bedarf jedoch kaum gedeckt werden. Das ist ein Fazit der Veranstaltung "Gute Praxis psychotherapeutische Versorgung: Psychoonkologie" der Bundespsychotherapeutenkammer in Berlin.

"Wir haben eine ganz große Gruppe, die noch nicht optimal versorgt ist", sagte Professor Dr. Joachim Weis von der Klinik für Tumorbiologie der Universität Freiburg. Das betonen auch Vertreter der Bundespsychotherapeutenkammer: Trotz der anerkannten Wertigkeit der psychoonkologischen Versorgung und einer großen Vielfalt von Leistungserbringern bestünden immer noch erhebliche Versorgungsdefizite.

Eine neue Leitlinie soll das jetzt ändern. Unter der Federführung der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) ist die S3-Leitlinie für die psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten entstanden.

"Die Leitlinie bildet die Grundlage dafür, dass die Qualität der psychoonkologischen Versorgung besser werden kann", sagte Weis. Für den gesamten Verlauf einer Krebserkrankung enthalte sie daher Empfehlungen für die psychoonkologische Versorgung - und zwar für Klinik und Praxis. Vor allem solle aufgezeigt werden, wie Versorgungsangebote implementiert werden können.

Immer noch viele Barrieren in der Versorgung

Besonders wichtig sei es, dass Patienten genügend Informationen über die möglichen Angebote erhielten, betonte Projektleiter Weis. Die besondere Herausforderung für Psychotherapeuten: Es müssten diejenigen Patienten gefunden werden, die eine psychoonkologische Unterstützung brauchen und diese auch tatsächlich in Anspruch nehmen wollen. Viele Patienten wollten zunächst von dem Thema Psychotherapie allerdings nichts wissen. Sie hätten beispielsweise Angst vor einer Destabilisierung.

Dr. Frank Schulz-Kindermann, Leiter der Spezialambulanz für Psychoonkologie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), sprach sich dafür aus, dass sich die psychoonkologische Versorgung sich vor allem am Bedarf der Patienten orientieren sollte. Zudem sollten auch die Angehörigen in die Therapie eingebunden werden, ergänzte Dr. Klaus Lang von der psychotherapeutischen Praxis aus München.

Die Experten sind sich darin einig, dass es vor allem eine detaillierte Bestandsaufnahme brauche: "Doch bislang gibt es noch sehr viel, was wir nicht wissen", sagte Weis. Die Leitlinie sei hier nur ein erster Schritt. Zudem werde es einige Zeit in Anspruch nehmen, bis sie im Versorgungsalltag angekommen sei.

Krebspatienten litten vor allem an bestimmten ausgeprägten psychischen Symptomen wie Fatigue, Resignation oder Progredienzangst, so Weis. Laut Bundespsychotherapeutenkammer können diese Symptome aufgrund ihrer Schwere oder Dauer durchaus Krankheitswert haben.

Allerdings seien sie nicht einer der vorhandenen diagnostischen Kriterien nach ICD-10 zuzuordnen. Aufgrund dessen sei oft die Finanzierung notwendiger psychotherapeutischer Leistungen nicht gewährleistet, und Krebspatienten hätten derzeit nur eingeschränkt Zugang zu psychotherapeutischer Hilfe. Ein weiterer Schwachpunkt in der Praxis: Patienten müssten oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen, um ein entsprechendes Behandlungsangebot zu erhalten.

Auch in der Klinik gibt es nach wie vor Barrieren in der Versorgung: Die Kosten für die Erbringung psychoonkologischer Leistungen bei onkologischen Patienten sind laut BPtK bereits im DRG-System enthalten und in die Fallkostenpauschale einbezogen. Bei der Vergütung fänden sie daher keine gesonderte Berücksichtigung.

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