Chronischer Schmerz

Vier lange Jahre bis zur Therapie

Fast jeden Vierten in Deutschland plagen chronische Schmerzen - doch gut versorgt werden sie nicht, bemängelt die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin. Neben strukturellen Problemen liegt das auch an den Ärzten.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Schmerz lass nach.

Schmerz lass nach.

© George Doyle/ Getty Images / Stockbyte

Durchschnittlich vier Jahre vergehen, bis ein Patient mit chronischen Schmerzen qualifizierte schmerztherapeutische Maßnahmen erhält. Jeder Zweite leidet unter chronischem Rückenschmerz, die anderen plagen meist Kopfschmerzen oder somatoforme Störungen.

Doch selbst wenn endlich ein schmerztherapeutisch tätiger Arzt gefunden ist, muss der Patient oft lange auf einen Termin warten.

Dabei nimmt die Zahl chronischer Schmerzpatienten stetig zu, wie eine Umfrage des Berufsverbandes der Ärzte und psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) aus dem Jahr 2012 gezeigt hat. Und die Versorgungslage ist nach wie vor schlecht.

Derzeit sei nicht einmal ein Drittel des Bedarfs gedeckt, klagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) Dr. Gerhard Müller-Schwefe in einem Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

"Die Patienten müssen oft wochen- und monatelang auf einen Termin warten, und auch dann ist völlig unklar, ob die Struktur, in der sie schließlich Kontakt mit einem Schmerztherapeuten finden, so qualifiziert ist, dass ihr Problem dort gelöst werden kann", so Müller-Schwefe.

Fehlende Bedarfsplanung

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Grund für solche Missstände sei eine vollständig fehlende Bedarfsplanung für die Schmerzmedizin. Dabei sei der Bedarf relativ einfach zu berechnen, so der DGS-Präsident. Die Prävalenz chronischer Schmerzen liegt in Deutschland bei 17 bis 23 Prozent, etwa 10 Prozent entfallen auf problematische Patienten.

Geht man davon aus, dass ein Schmerzmediziner maximal 300 Patienten pro Quartal versorgt, bräuchten wir einen Schmerzmediziner pro 15.000 Einwohner. Verstärkt wird das Problem durch die fehlende Nachfolgeregelung von Vertragsarztsitzen.

Übergibt ein niedergelassener Allgemeinmediziner mit schmerzmedizinischer Qualifikation seine Praxis an einen Kollegen ohne diesen Zusatz, bedeutet dies das Ende einer adäquaten Schmerzversorgung für die Patienten, die der Praxis treu bleiben.

Nicht zuletzt ist auch die regional unterschiedliche Vergütung schmerzmedizinischer Leistungen nicht gerade förderlich für die flächendeckende Versorgung. Seit 1994 hat die DGS mit den Krankenkassen eine bundesweite feste Vergütung für qualitätsgestütze Schmerztherapie vereinbart.

Nachdem die KBV die Honorarreglungen aber den regionalen KVen überlassen habe, sei die Schmerzmedizin zur Manövriermasse geworden, meint Müller-Schwefe.

Das Honorar würde zwischen den verschiedenen Facharztgruppen hin- und hergeschoben, und die schmerzmedizinische Versorgung habe sich damit am Ende verschlechtert. Zusammen mit der ungesicherten Weitergabe von Vertragsarztsitzen führe dies dazu, dass sich viele schmerzmedizinisch tätige Kollegen zurückzögen.

Keine Verbesserung durch Einführung der Zusatzbezeichnung

Man könnte meinen, mit der Einführung der Zusatzbezeichung "spezielle Schmerztherapie" für die verschiedenen Facharztgruppen hätte sich die Versorgungslage in Deutschland verbessert, doch dies scheint nicht der Fall.

"Wir erleben", so Müller-Schwefe, "dass die Patienten von einem Schmerztherapeuten zum nächsten irren, aber fachgebietsbezogen lassen sich die Probleme oft nicht lösen".

Auch die interdisziplinären Ansätze hält der DGS-Präsident für unzureichend. "Multimodales Setting ist heute das Zauberwort für alles, aber selbst wenn der Patient von drei oder vier Fachdisziplinen angesehen, dann aber untereinander nicht kommuniziert wird, ist das eigentlich für die Katz."

Selbst die Etablierung der Schmerzmedizin als Querschnittsfach, das ab 2016 Bestandteil der Prüfungen aller angehenden Ärzte sein wird, erscheint nur als Tropfen auf den heißen Stein.

Denn die jungen Fachärzte, die voraussichtlich ab 2021 zur Versorgung der Schmerzpatienten beitragen werden, haben in ihrem Studium nur Grundkenntnisse der Schmerzmedizin erworben. "Wir brauchen Ärzte, die mehrere Kompetenzen in sich vereinen", fordert Müller-Schwefe.

Es müsse möglich sein, dass eine Person etwa ein psychologisches und ein orthopädisch-funktionelles Assessment durchführen kann und zudem anästhesiologische Techniken, beispielsweise für diagnostische Blockaden, beherrscht. Deshalb hält Müller-Schwefe die Einführung eines Facharztes für Schmerzmedizin für die einzige Lösung.

Verlustängste bei den Fachärzten

Doch auch hier gilt es offenbar, noch viele Widerstände zu überwinden. "Das große Problem ist, dass es unglaublich viele Verlustängste gibt", erklärt Müller-Schwefe. Orthopäden, Anästhesisten, Neurologen, Psychiater und Psychologen reklamieren den Schmerz als eigenes Thema. Das Kernproblem sei aber, so Müller-Schwefe, dass die Problempatienten nicht bei einem Fachgebiet wirklich gut aufgehoben seien.

Diese Schmerzpatienten, die in den abgestuften Versorgungsstrukturen vom Hausarzt über den Facharzt auch mit fachgebietsbezogener spezieller Schmerztherapie nicht ausreichend behandelt werden können, bilden die Klientel des Facharztes für Schmerzmedizin, mit klarem Zugangsmanagement.

Dabei sind Kooperationen mit anderen Fachgruppen wie Psychologen und Physiotherapeuten weiterhin nötig. Wenn dies klar kommuniziert werde, so Müller-Schwefe, gingen viele Ängste verloren, die die zügige Umsetzung dieses Konzeptes behinderten.

Dass sich eine effiziente Schmerztherapie auch finanziell lohnt, haben Rückenschmerzprogramme zur Frühintervention gezeigt, die zwischen der DGS und der Techniker Krankenkasse vereinbart wurden. Nach vier Wochen Arbeitsunfähigkeit werden Patienten hier intensiv von Schmerzmedizinern, Physiotherapeuten und Psychologen betreut.

Vier bis acht Wochen später sind 87 Prozent der Patienten wieder arbeitsfähig. Die Krankenkasse spart damit 1500 Euro pro Patient. Es sei Zeit, so der DGS-Präsident, dass auch die Versicherungen verstünden, dass, wenn sie an den alten Versorgungsmodellen festhalten, das System unbezahlbar werde.

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