Neue Analyse

HIV-Epidemie kleiner als gedacht?

Millionen HIV-Infizierte weniger: Eine große Analyse stellt die bestehende UN-Statistik massiv infrage.

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MELBOURNE. Die weltweite HIV-Epidemie könnte womöglich deutlich kleiner sein als bislang von den Vereinten Nationen geschätzt. Darauf deuten Ergebnisse einer enorm umfangreichen Analyse der "Global Burden of Disease Study 2013" (GBDS), die am Dienstag auf dem 20. internationalen Aids-Kongress der IAS im australischen Melbourne vorgestellt wurde. Experten fordern nun neue weltweite Standards für die Meldung und Analyse von Gesundheitsdaten.

Laut der Auswertung des internationalen Forscherteams um den US-amerikanischen Global-Health-Experten Professor Christopher Murray könnte die weltweite HIV-Prävalenz rund 18 Prozent niedriger sein als von der UN-Organisation UNAIDS geschätzt (The Lancet 2014; online 22. Juli).

Laut UNAIDS lebten im vergangenen Jahr rund 35 Millionen Menschen weltweit mit dem HI-Virus - ähnlich wie im Jahr zuvor. Nach Murrays Auswertung könnten es tatsächlich aber nur 29 Millionen Menschen sein (minus 18,7 Prozent). Einen ähnlichen Unterschied von minus 17,1 Prozent zu den UNAIDS-Daten haben die Forscher für das Jahr 2005 ausgemacht.

Ähnlich ist es mit der Mortalität: Laut Murray sind 2013 weltweit 1,3 Millionen an den HIV-Folgen gestorben. UNAIDS gibt die Zahl der Todesopfer für das Jahr hingegen mit 1,5 Millionen an. Noch deutlicher war es beim Sterblichkeitpeak im Jahr 2005: Für damals ermittelte die GBDS 1,7 Millionen Tote, während UNAIS 2,3 Millionen zählte (UNAIDS-Bericht 2013).

Als Hauptgrund für die statistischen Diskrepanzen machen die Forscher die unterschiedliche Analyse der verfügbaren Daten aus. Denn für die GBDS haben die Experten nicht nur zusätzlich noch viele weitere Studien und Datenbestände analysiert, sie haben deren Ergebnisse auch adjustiert.

Dort zeigte sich etwa bei der Analyse von lokal "konzentrierten" HIV-Epidemien (immerhin 125 an der Zahl), dass die geschätzte Mortalität zwischen 52 und 58 Prozent geringer war, als zuvor von UNAIDS geschätzt. Und auch in den Regionen kommt das Team um Murray zu anderen Daten: Für Russland haben sie etwa eine um 58,4 Prozent geringere Prävalenz errechnet als die Aids-Organisation der UN.

Außerdem zeigten neue epidemiologische Studien zu den Erfolgen der antiretroviralen HIV-Therapie (ART), dass das Langzeitüberleben deutlich zugenommen habe. Dies könnte das mediane Überleben in den Kurven von Murray et al. ebenfalls deutlich nach oben gehoben haben - und damit für geringere Mortalitätsraten gesorgt haben.

Experten wie der Harvard-Professor Rifat Atun fordern deswegen, die Standards für Meldungen von Gesundheits- und Krankheitsdaten sowie deren Auswertungen weltweit zu überdenken (The Lancet 2014; online 22. Juli). Schon die grundsätzlichsten Meldedaten wiesen in Entwicklungsländern große Lücken auf, moniert er. Jedes dritte Baby dort bekäme vor dem ersten Geburtstag nicht einmal eine Geburtsurkunde.

Außerdem würde etwa UNAIDS oft Surveillancedaten von Schwangeren aus nur speziellen Kliniken verwenden, die aber nicht selten unvollständig seien. Zudem seien die von den UN und der WHO genutzten Daten nicht für jedermann einsehbar.

Atun fordert daher eine "Revolution", nämlich neue globale Standards zur Datentransparenz, Methodologie und für Rechenmodelle, mit denen Inzidenzen, Prävalenzen und Mortalität errechnet werden. (nös)

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