Untersuchung

Viele Ärzte tun sich schwer mit Depressionen

Depressionen sind eine Herausforderung für den Alltag in der Praxis. Wissenschaftler des Rheingold Instituts haben jetzt Ergebnisse einer Untersuchung zu diesem Thema vorgestellt.

Von Jonas Tauber Veröffentlicht:
Eine Herausforderung für viele Ärzte: Depressive.

Eine Herausforderung für viele Ärzte: Depressive.

© LeoGrand / iStock

BERLIN. Die heutige Leistungsgesellschaft ist besonders anfällig für die Erkrankung Depression. "Unsere Kultur der Machbarkeit befeuert Depressionen", sagte die Psychologin Birgit Langebartels vom Rheingold Institut bei der Vorstellung einer tiefenpsychologischen Untersuchung zum Thema in Berlin.

Die Befragung von Betroffenen beiderlei Geschlechts ergab, dass bei Erkrankten ein ausgeprägtes Perfektionsstreben mit einer geringen Fehlertoleranz zusammenfällt. Objektiv unerhebliche Rückschläge können in die Spirale von Isolation, Passivität und Gleichgültigkeit führen, die im schlimmsten Fall mit dem Suizid endet.

In ihrer vom Pharmaunternehmen Pascoe Naturmedizin in Auftrag gegebenen Studie (wir berichteten) haben die Forscher eine sechsstufige Binnenstruktur der Depression ausgemacht. Sie zu kennen, kann für Ärzte sehr hilfreich sein, glauben die Forscher.

Die Institutsmitarbeiter führten für die Studie zweistündige Interviews mit insgesamt 80 Menschen, unter ihnen 40 mit depressiver Verstimmung.

Auch mit 22 Ärzten sprachen sie sowie mit zehn Apothekern und acht pharmazeutisch-technischen Assistenten.

Furcht vor möglichem Suizid

Von den befragten Ärzten - Allgemeinmediziner, Internisten und Gynäkologen - wollte das Rheingold Institut wissen, wie sie mit Betroffenen umgehen. Das Ergebnis: Die Mediziner tun sich schwer mit der Depression, so Psychologin Langebartels.

Ein Grund dafür sei die Furcht vor dem möglichen Suizid des Patienten. Dazu komme, dass Menschen mit Depressionen besonders viel Aufmerksamkeit beanspruchen. Schließlich löse die Erkrankung bei vielen Ärzten ein tiefgehendes Unbehagen aus.

"Ärzte verspüren, dass sie im Umgang mit depressiven Patienten in etwas hineingeraten, was ihnen zutiefst unheimlich ist und was sie nicht direkt in den Griff bekommen können", schreiben die Verfasser der Studie.

Psychologisch gerieten Mediziner damit in eine ähnliche Situation wie ihre depressiven Patienten.

Es bestehe die Gefahr, dass Ärzte sich statt einer ganzheitlichen Behandlung in oberflächliche Kategorisierungen flüchten oder die Krankheit als reine Stoffwechselerkrankung betrachten und Psychopharmaka verschreiben, meinen die Psychologen.

Die Forscher haben auf Basis der Interviews Empfehlungen für Angehörige, Apotheker und Ärzte zusammengestellt, wie sie Betroffene unterstützen können. Wichtig ist demnach, dass sich Menschen mit depressiver Verstimmung Ruhepausen gönnen.

Hetzen sie von einer Aufgabe zur nächsten, steigt die Depressionsgefahr. Darauf sollten die Bezugspersonen achten.

Weiter sollten sie die Erkrankung ernst nehmen, zugleich aber darauf hinwirken, dass Betroffene ihre überhöhten Ansprüche überdenken und revidieren, empfehlen die Psychologen.

Ihrer Meinung nach ist es hilfreich, wenn Angehörige und Ärzte die Patienten zu einem angemesseneren Umgang mit Verlusten und Niederlagen ermuntern.

Für eine Heilung sei wichtig, dass sie Rückschläge nicht nur als Kränkung empfinden, sondern sie zum Anlass nehmen, sich und die Umwelt zu hinterfragen.

Menschen mit depressiven Symptomen kreisen oft in Gedanken nur um die eigene Person. Ärzten empfehlen die Psychologen, dass sie diesen Gedanken bis zu einem gewissen Punkt folgen, aber auch den Blick der Patienten weiten und auf anderes lenken.

Geduld ist wichtig, denn ein schneller Behandlungserfolg sei bei einer Depression nicht zu erwarten. Der Anspruch auf Schnelligkeit könne die Behandlung sogar belasten. Sie empfehlen Angehörigen und Ärzten, mit Patienten kleine Schritte zu vereinbaren.

Es geht um Prioritäten

Depressive Patienten brauchen laut der Studie Unterstützung bei der Setzung von Prioritäten. Wichtig sei deshalb ein Reflexionsprozess darüber, was Betroffenen wirklich wichtig ist, und welche Ansprüche oder Aufgaben besser aufgegeben werden.

Damit Patienten wieder gesund werden können, müssen sie wieder schrittweise Verantwortung übernehmen und konkrete Aufgaben wahrnehmen, raten die Studienautoren.

Dadurch wächst zwar die für Depressive so erschreckende Möglichkeit des Scheiterns oder Versagens. Ärzte und Angehörige sollten ihnen aber Mut machen und klarmachen, dass persönliche Entwicklung ohne Schuld und Begrenzung nicht möglich ist.

Das Unternehmen Pascoe entwickelt auf Basis der Studie Schulungen für Ärzte, mit denen sie auf den Umgang mit depressiven Patienten vorbereitet werden sollen. Die Angebote sollen im Laufe des Jahres starten.

Die ausführliche Studie zum Nachlesen: http://tinyurl.com/ogero49

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