Mann oder Frau?

Diese Frage wird in Therapie und Ausbildung wichtiger

Frauen, die an Diabetes erkrankt sind, leiden häufig zusätzlich an Depressionen. Ärzte sollten daher auf sie anders eingehen als auf Männer mit der gleichen Diagnose, heißt es auf dem 3. Bundeskongress Gendergesundheit. Aber damit alleine ist es nicht getan. Frauen verhalten sich auch in der medizinischen Ausbildung anders.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Bei gleicher Diagnose brauchen Patientinnen oft eine andere Beratung und Therapie als Patienten.

Bei gleicher Diagnose brauchen Patientinnen oft eine andere Beratung und Therapie als Patienten.

© SPL / Agentur Focus

BERLIN. "Adipöse Frauen plagt oft ein schlechtes Gewissen, dass sie übergewichtig sind", sagt Christian Klepzig. Wenn sie in seine Praxis kommen, hört der niedergelassene Diabetologe häufig diesen Satz: "Entschuldigen Sie, Herr Doktor, ich weiß, dass ich abnehmen muss."

Ein männlicher Patient habe so etwas noch nie zu ihm gesagt, berichtete Klepzig, wissenschaftlicher Leiter des diesjährigen Kongresses GenderGesundheit. Er empfahl: "Wir Mediziner dürfen diese Patientinnen dann nicht stigmatisieren und ihnen die Schuld für die zu vielen Kilos zuschreiben."

Ob eine andere Diagnostik und Therapie den betroffenen Frauen zielgenauer helfen könnte, darüber gebe es bislang nur wenige Erkenntnisse. "Wir wissen nur, dass Diabetikerinnen häufiger als Diabetiker eher niedrigere Bildungsabschlüsse haben, oft allein leben und Teilzeit arbeiten", so Klepzig.

Zahnmedizin-Studentinnen bleiben gerne unter sich

Ergebnisse der Frauen- und Männergesundheitsforschung sollen künftig stärker berücksichtigt werden. So steht es im Regierungsentwurf des Präventionsgesetzes.

Dem Geschlechteraspekt in der Medizin sei bei der Ausgestaltung der kurativen und präventiven Kassenleistungen Rechnung zu tragen. Das könnte beispielsweise dafür sorgen, dass unterschiedliche medizinische Behandlungsleitlinien für Männer und Frauen entwickelt werden müssen.

Folgt man den Experten beim Bundeskongress Gendergesundheit, fehlen bislang noch umfassende Daten zum "kleinen Unterschied" bei Gesundheit und Krankheit. Zum anderen sind jene Gremien der Selbstverwaltung, die über neue Diagnostik und Therapie entscheiden, nach wie vor männlich dominiert.

"Wir haben den Anspruch, eine genderspezifische Versorgung zu gestalten", sagt Ingrid Fischbach (CDU), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium.

Nötig ist aus ihrer Sicht ein "Strukturwandel in den Bereichen Ausbildung, Arbeit und Führung".

Aber nicht nur bei der Therapie müssen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern stärker berücksichtigt werden, sondern auch schon während des Studiums.

Das zeigt ein Beispiel aus der Zahnmedizin. Hier könnte es ratsam sein, verstärkt auf Lehrveranstaltungen zu setzen, in denen Frauen und Männer getrennt lernen.

Professor Margrit-Ann Geibel von der Universität Ulm berichtete von monoedukativen Kursen in der Zahnchirurgie. Angehende Zahnärztinnen belegen diese gerne, um "störungsfrei" und "ohne Rollenzwang" am Tiermodell (Schweinekiefer) arbeiten zu können und Selbstvertrauen zu tanken.

"Auch in der Zahnmedizin arbeiten viele Frauen. Wenn sie jedoch aus Mangel an Routine weniger Leistungen in der Zahnchirurgie anbieten, laufen wir Gefahr, dass die Patienten auf lange Sicht damit nicht gut versorgt werden."

Frauen müssen in die wichtigen Gremien

Rita Gabler von der gemeinnützigen GmbH "Palliativ Team Erding" spannte auf dem Gender-Kongress den Bogen gar weit in die Medizingeschichte. Die Heilkunst war jahrhundertelang die Domäne der weisen Frauen.

Durch die Gründung der ersten medizinischen Universitäten unter kirchlicher Führung wurden sie abgedrängt. Männer wurden zu Ärzten ausgebildet, heilkundige Frauen zunächst als Hexen verfolgt.

Die heutige medizinische Versorgung, so die These von Gabler, stünde besser da, hätte sie den Frauen von Anfang an einen gleichberechtigten Status in der Medizin eingeräumt.

Wichtig sei heute eine menschliche Haltung in der Medizin zu pflegen, die Beziehungen stärkt sowie Reflektion und Authentizität zulasse.

Damit sich in Richtung geschlechterspezifischer Medizin noch mehr bewegt als bisher, müssen Frauen in den Entscheider-Gremien von Ärztekammern, Kassenärztlichen Vereinigungen oder des Gemeinsamen Bundesausschusses mitmischen, forderte Dr. Regine Rapp-Engels vom Deutschen Ärztinnenbund.

Vielfach seien Frauen dort noch Einzelkämpferinnen, die allein wenig bewegen könnten. Neben einer Quote - "ohne die passiert nichts" - brauche es langfristig auch einen "Kulturwandel" in der Gremienarbeit: "Bislang werden Entscheidungen oft schon im Vorfeld getroffen oder spät abends in informellen Gesprächen ausgehandelt. Das sind männliche Strukturen und ist nicht der Stil, den Frauen pflegen", so Rapp-Engels.

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