Sektorengrenzen

Bremsklötze in der geriatrischen Versorgung

Die Vorbehalte sind offenbar immer noch groß: Was bringt niedergelassenen Ärzten ein Engagement in Netzwerken für eine bessere geriatrische Versorgung? Bei einer Diskussion in Aachen wurde nach Antworten gesucht.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

AACHEN. Wenn es um die Theorie geht, muss im Gesundheitswesen wohl kaum jemand davon überzeugt werden, dass Kooperation bei der Versorgung von Patienten sinnvoll ist - am besten auch über die Sektoren- und Professionsgrenzen hinweg.

Bei der praktischen Umsetzung knirscht es dagegen häufig. Das zeigte sich bei einem Forum der Diözesanarbeitsgemeinschaft der katholischen Krankenhäuser im Bistum Aachen.

Zur Diskussion über das Thema "Die Qualität der geriatrischen Versorgung zeigt sich in der gelungenen Netzwerkbildung" waren auch viele niedergelassene Ärzte eingeladen. Gekommen war keiner.

Dr. Ivo Grebe, Vorsitzender der Kreisstelle Aachen der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNo), hat eine Vermutung, was die Praxisärzte von einem Besuch der Veranstaltung abgehalten haben könnte: "Viele niedergelassene Kollegen haben Angst: Wenn schon wieder etwas Neues kommt, ist damit auch wieder neue Bürokratie verbunden."

Für die Ärzte sei oft nicht zu erkennen, was ihnen das Engagement in einem Netzwerk an Positivem bringen könnte. "Wir brauchen etwas, das uns bei unserer täglichen Arbeit entlastet", betonte Grebe, der seit 25 Jahren als Internist niedergelassen ist.

Finanzielle Anreize reichen nicht aus

Außerdem sei bei Vernetzungen nicht immer deutlich, welche konkreten Vorteile die Patienten davon haben. Auch das halte Ärzte ab. Finanzielle Anreize allein seien für eine Teilnahme nicht ausreichend. "Es muss inhaltlich etwas kommen." Er warnte davor, trotz aller Vorteile den Netzwerk-Gedanken überzustrapazieren und zu viel zu verlangen. "Wir niedergelassenen Ärzte können unseren Arbeitstag nicht auf 25 Stunden ausdehnen."

In NRW legt der Krankenhausplan einen Schwerpunkt auf die Geriatrie und setzt dabei auch auf das Konzept der geriatrischen Verbünde. Eine solche Vorgabe durch die Politik vermittele den Ärzten an der Basis häufig das Gefühl, es werde ihnen etwas aufgezwungen, sagte ÄKNo-Präsident Rudolf Henke. Daran ändere auch nichts, dass die Ärztekammer bei der Krankenhausplanung mitwirkt.

Nach Einschätzung von Henke macht das Vorgehen der Politik ein Versäumnis der Selbstverwaltung offenkundig. "Es wäre viel besser gewesen, wenn vor fünf oder acht Jahren die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, die Ärztekammern, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen ein solches Konzept entwickelt hätten."

Man müsse sich fragen, warum die Politik bei der Gestaltung der Versorgungsstrukturen immer wieder die Führungsrolle übernehme, räumte er ein.

Aus Sicht der ÄKNo sei die sektorenübergreifende Versorgung unabdingbar, sagte Henke. Sie sei aber nur mit festen Vereinbarungen und dokumentierten Absprachen möglich. "Die genuine Logik der Systeme ist immer noch so, dass es für die Zusammenarbeit keine Anreize gibt."

Nach seiner Einschätzung kann die Vernetzung unter einer strengen Budgetlogik nicht funktionieren. "Wir müssen die neuen Aufgaben mindestens für eine Übergangszeit als extrabudgetäre Leistungen vergüten", stellte er klar.

Inhalt muss im Vordergrund stehen

Dirk Ruiss, Leiter des Ersatzkassenverbands VdEK in NRW, warnte vor Etikettenschwindel bei der Verbundbildung. Bei vielen Verbünden stehe zurzeit die Verpackung im Vordergrund und nicht der Inhalt. So sei die Vernetzung mancherorts auf Kliniken beschränkt - zum Teil sogar innerhalb derselben Trägerschaft.

"Es kann nicht sein, dass ein Verbund über 100 Kilometer reicht, ohne den ambulanten Bereich einzubeziehen." Völlig ungeklärt sei auch die Frage, wie die geriatrischen Institutsambulanzen künftig in die Versorgung eingebaut werden.

Die Weiterentwicklung der geriatrischen Strukturen müsse patientenorientiert erfolgen und nicht struktur- oder anbieterorientiert, betonte Ruiss. Er kritisierte, dass in NRW die Anträge von Kliniken zum Ausbau der geriatrischen Kapazitäten weit über den Bedarf hinaus explodieren. Hier seien schon im Vorfeld mehr Absprachen zwischen den Kliniken notwendig, forderte er.

"Jeder, der einigermaßen unfallfrei Geriatrie buchstabieren kann, stellt heute einen Antrag auf Zulassung", bestätigte Wilfried Jacobs, Geschäftsführer des Gemeinnützigen Instituts für patientenorientierte Versorgungsablaufforschung. Ein rein ökonomisch motiviertes Engagement sei aber gerade in der Geriatrie fehl am Platz. Geriatrische Verbünde bräuchten eine zentrale Figur, die die Zusammenarbeit organisiert.

"Derjenige muss glaubwürdig sein und für die Philosophie der Geriatrie stehen", sagte der ehemalige Vorstandschef der AOK Rheinland/Hamburg.

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