Internisten klagen

Viel zu viele Leitlinien

Wie unterversorgt sind Patienten in Deutschland? Der DGIM-Vorstand sieht ein großes Problem - die DGIM-Mitglieder hingegen nicht.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

MANNHEIM. Aus einer repräsentativen Befragung der DGIM-Mitglieder geht hervor, dass die Hälfte von ihnen glaubt, wenn überhaupt, allenfalls einmal pro Woche mit Unterversorgung von Patienten konfrontiert zu werden.

Unterversorgung meint: Maßnahmen, deren Nutzen wissenschaftlich belegt ist, werden dennoch unterlassen, also zum Beispiel bestimmte Medikamente nicht verabreicht.

Der DGIM-Vorstand und Vertreter der internistischen Fachdisziplinen sehen dagegen Unterversorgung durchaus als relevantes Problem.

Deshalb haben deren Gremien in der Klug-entscheiden-Initiative, deren Ergebnisse bei diesem Kongress ausführlich vorgestellt werden, nicht nur Negativempfehlungen formuliert, die sich gegen ein Zuviel an Maßnahmen richtet, sondern auch Positivempfehlungen.

Damit unterscheiden sich die deutschen Internisten grundsätzlich vom nordamerikanischen Vorbild "Choosing wisely".

Über- und Untersorgung können gleichzeitig auftreten

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Kongresspräsident Professor Gerd Hasenfuß räumte am Sonntag in Mannheim ein: "Was häufig ist und was selten, das ist im deutschen Gesundheitssystem nicht zu eruieren. Es gibt keine großen Register, die diese Frage beantworten können."

Wie häufig bestimmte Über- und Unterversorgungsphänomene sind, sei daher Expertenmeinung.

Als eine Ursache für Unterversorgung nannten die befragten DGIM-Mitglieder zu umfangreiche Leitlinien. Sich mit 20 bis 30 für die internistische Arbeit relevanten Leitlinien auszukennen sei schwierig, so Hasenfuß. "Das ist ein Signal dafür, über unsere Leitlinien-Kultur nachzudenken."

Ein Beispiel aus der Kardiologie zeigt, dass Über- und Unterversorgung auch gleichzeitig auftreten kann.

Professor Stephan Baldus aus Köln wies darauf hin, dass trotz klarer Empfehlungen zur Antikoagulation bei Vorhofflimmern jene Patienten, die evidenzbasiert keine Antikoagulation bekommen sollen, sie in 60 Prozent der Fälle dennoch erhalten, wohingegen bei bestehender Indikation in über 60 Prozent der Fälle nicht antikoaguliert werde.

Das gehe aus einer großen Registerstudie in Nordamerika hervor, die, so Baldus, auch repräsentativ für Deutschland sein könnte.

Von "Klug entscheiden" erwarten die Initiatoren vor allem eine verbesserte Indikationsqualität.

Hasenfuß: " ,Klug entscheiden' klug umgesetzt kann die Qualität der medizinischen Versorgung signifikant verbessern."

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