Chronische Krankheiten

"Transition muss zu einer Regelleistung werden!"

Zehntausende Jugendliche mit chronischen Krankheiten bedürften pro Jahr einer strukturierten Übergabe in die Erwachsenenmedizin. Doch damit steht man noch ganz am Anfang, sagt Professor Lars Pape von der Deutschen Gesellschaft für Transitionsmedizin.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Professor Pape, wie hoch schätzt die Deutsche Gesellschaft für Transitionsmedizin den jährlichen Transitionsbedarf bei chronisch kranken Jugendlichen ein?

Pape: Das ist unklar, weil dies noch nie systematisch erfasst worden ist. Nicht jedes chronisch kranke Kind ist transitionsbedürftig und es ist schwer allgemein zu definieren, ab wann jemand ein strukturiertes Transitionsprogramm benötigt. Insgesamt gehe ich von jährlich 30.000 bis 40.000 Jugendlichen in Deutschland aus, die einer Transition bedürfen.

Wo stehen wir mit der Transition bundesweit?

Pape: Es gibt schon viele vielversprechende Insellösungen, aber für eine bundesweite Lösung stehen wir noch ganz am Anfang. Es sind vor allem die Kinder- und Jugendärzte, die den Bedarf sehen, weil sie ihre Patienten in die Erwachsenenmedizin abgeben müssen. Aus Sicht eines Erwachsenenmediziners handelt es sich dagegen um sehr wenige Patienten pro Jahr, die einen zugleich besonders hohen Versorgungsbedarf haben.

Es braucht medizinisches Spezialwissen und die Bereitschaft, sich mit den komplexen, auch psychosozialen Problemen in dieser Lebensphase auseinanderzusetzen. Das sind Gründe dafür, warum sich in der Erwachsenenmedizin nur schwer Kollegen finden, die diese zeitintensive Aufgabe übernehmen möchten.

Ausnahmen sind Zentren, in denen aufgrund des hohen persönlichen Engagements Einzelner funktionierende Transitionsstrukturen entstanden sind. Beispiele sind die EMAH*-Zentren für Patienten mit angeborenen Herzfehlern oder die Christiane-Herzog-Zentren für Patienten mit Cystischer Fibrose. Letztere funktionieren vor allem auch deshalb, weil Stiftungsgelder fließen.

Professor Lars Pape

"Transition muss zu einer Regelleistung werden!"

© KfH

Zweiter Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Transitionsmedizin, Stellvertretender Direktor der Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen an der MHH, seit 2014 W3-Professor für pädiatrische Nephrologie.

Schwerpunkte: Pädiatrische Nephrologie und Nierentransplantation, Optimierung der immunsuppressiven Therapie nach Transplantationen, Validieren von Proteommustern für Nierenerkrankungen, Transitionsmedizin

Kurz gesagt, es fehlt an Geld und an Motivation?

Pape: An einer Finanzierung des besonderen Betreuungsbedarfs führt kein Weg vorbei. Für die erforderlichen langen Gespräche mit den Patienten, an denen mindestens einmal beide Spezialisten – der Pädiater und der Erwachsenenmediziner – teilnehmen müssen, für Fallmanager, Sozialarbeiterinnen, Ärzte, Schwestern, Räumlichkeiten, für manche Patienten müssen interdisziplinäre Strukturen vorgehalten werden und anderes mehr. Die Christiane-Herzog-Zentren sind ein Beispiel dafür, dass eine funktionierende Insellösung aus Frankfurt am Main sich deutschlandweit verbreitet hat. Und zwar auch deshalb, weil eine private Stiftung sich dafür eingesetzt hat, dieses Modell zu exportieren. So etwas ist natürlich auch für andere Erkrankungen vorstellbar.

Das Berliner Transitions-Programm soll eine Matrix sein für Versorgungsstrukturen unterschiedlichster Krankheiten – kann das funktionieren?

Pape: Das BTP ist eine Basis für die Transition von Patienten mit Krankheiten, für die es im Erwachsenenbereich bereits Ärzte gibt, die sich damit auskennen, sei es Diabetes mellitus, seien es nephrologische Krankheiten oder Epilepsie.

An den erwähnten Christiane-Herzog-Zentren läuft vieles ganz anders als im BTP. Die Lebenserwartung von Mukoviszidose-Patienten war früher gering, heute erreichen die meisten das Erwachsenenalter. Auf dem Feld solcher Krankheiten ist Transition besonders schwierig. Es braucht Ärzte mit Zusatzqualifikationen oder die Pädiater und Erwachsenenmediziner nutzen gemeinsame Ambulanzen.

Welche eigenen Erfahrungen haben Sie an der MHH gemacht?

Pape: Im Erwachsenen-KfH in Hannover gibt es bereits seit vielen Jahren Ärztinnen mit spezieller Expertise, zu denen wir die nephrologischen Patienten transiieren. Es gibt des Weiteren ein CF-Zentrum und auch die Transition von lungentransplantierten Patienten und solchen mit angeborenen Herzfehlern funktioniert nach jeweils unterschiedlichen Modellen.

Welcher wäre denn aus Ihrer Sicht ein wichtiger nächster Schritt?

Pape: Im Moment finden wir in den meisten Indikationsbereichen in Deutschland lediglich Insellösungen vor, die unter Umständen verschwinden, wenn einzelne engagierte Kolleginnen und Kollegen nicht mehr da sind.

Was wir dringend brauchen sind etablierte Strukturen und zumindest die Finanzierung einzelner Transitionsleistungen wie gemeinsame Visiten und Patientenübergaben. An großen Krankenhäusern sollte man überlegen, ob nicht Transitionsstationen und -ambulanzen für Jugendliche mit chronischen Krankheiten geschaffen werden können.

Die Deutsche Gesellschaft für Transitionsmedizin fordert, dass Transition zu einer Regelleistung in Deutschland werden muss. Die einzelnen Fachgesellschaften sollten entscheiden, welche Transitionsmodelle für die jeweilige Erkrankung am besten passen. Und wenn die Finanzierung gesichert ist, werden sich auch Kollegen finden, die solche Programme umsetzen.

*EMAH – Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern

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