Antibiotika-Verordnung

Viele wollen auf "sicherer Seite" sein

Antibiotika im Praxisalltag: Eine Befragung aus Hessen gibt Einblicke in die Hintergründe. Und zeigt: Gerade in Hausarztpraxen muss oft täglich eine Entscheidung gefällt werden. Resistenzen sind dabei ein präsentes Thema.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:

FRANKFURT/MAIN. "Auf der sicheren Seite stehen" – dieses Ziel scheint auch bei Antibiotika-Verordnungen in Hessen eine entscheidende Rolle zu spielen. In einer Befragung niedergelassener Ärzte antwortete jeder Fünfte (21,4 Prozent), dass dies ein Argument für die Verordnung sei. Mehr als zehn Prozent der Befragten gaben die Angst vor juristischen Konsequenzen als Einflussfaktor auf die Antibiotikaverordnung an.

Gefragt hatten nach den Einflussfaktoren für eine Antibiotika-Verordnung die Landesärztekammer Hessen (LÄKH) und das MRE-Netz Rhein-Main. Acht Jahre nach der ersten bundesweiten Studie zum Thema wollten sie Änderungen in der Entwicklung, aber auch zwischen den verschiedenen Fachgruppen identifizieren. Dazu kontaktierte die Kammer im April 6333 Ärzte per E-Mail – 897 antworteten. In einer Online-Befragung stellten sie sich Fragen zur Verordnung. 841 gaben ihre Facharztqualifikation an, 57 davon hatten keine Facharztweiterbildung.

Langer Anfahrtsweg? Kein Grund!

Bei ihnen scheint die Angst in der Antibiotika-Verordnung gar eine noch größere Rolle zu spielen: Rund 40 Prozent wollten hier "auf der sicheren Seite stehen", rund 20 Prozent hatten jeweils Angst vor juristischen Konsequenzen oder folgten mit der Verordnung dem Wunsch des Patienten.

Fachärzte hingegen stellen nicht originär medizinische Fragen bei der Verordnung eher zurück, zeigen die Zahlen aus Hessen: Dass die Verlaufsuntersuchung wegen eines langen Anfahrtsweges erschwert ist, der Patient unbedingt arbeiten will oder lediglich der Eindruck vorherrscht, dass sich der Patient durch das Antibiotikum gut behandelt fühlt, waren jeweils für weniger als zehn Prozent der Befragten ein Grund für die Verordnung.

Doch wo sind Antibiotika überhaupt am häufigsten Thema? Täglich muss der Großteil der Allgemeinärzte (67 Prozent) sowie der Pädiater (65 Prozent) Entscheidungen zum Einsatz treffen, gefolgt von Fachärzten für Innere Medizin (57 Prozent) und Kollegen ohne Facharztweiterbildung (47 Prozent). Gynäkologen gaben nur in 37 Prozent der Fälle an, täglich Entscheidungen treffen zu müssen.

Über alle Fachgruppen hinweg, zeigt der Vergleich zur bundesweiten Studie 2008, scheinen Ärzte seltener Antibiotika zu verordnen: Trafen aktuell 54 Prozent täglich eine Entscheidung zur Antibiotika-Verordnung, waren es 2008 noch 63 Prozent.

Diese Entwicklung mag auch daran liegen, dass Resistenzen in den vergangenen Jahren deutlich ins Bewusstsein gerückt sind: Während vor acht Jahren im Bundesdurchschnitt 67 Prozent der Befragten die Problematik der Resistenzen am Arbeitsplatz für relevant hielten, waren es in diesem Jahr 85 Prozent. 62 Prozent der Ärzte meinten, dass ihr Verhalten Einfluss auf die Resistenzsituation der Region hat (2008: 51 Prozent).

Das Kooperationsprojekt der Landesärztekammer und KV Hessen, der vier hessischen MRE-Netzwerke sowie weiteren Berufsverbänden "Weniger ist mehr" setzt hier an: Es sensibilisiert seit Oktober 2015 Patienten, aber auch Ärzte für eine zurückhaltende Verordnungspraxis (die "Ärzte Zeitung" berichtete). Insbesondere bei Atemwegsinfektionen bestehe ein großes "Sparpotenzial" bei Antibiotika-Verordnungen, sagte Professor Ursel Heudorf, Vorsitzende des MRE-Netzes Rhein-Main, bei der Vorstellung des Projektes. Es müsse ein Bewusstsein dafür entstehen, dass ein Arzt kein schlechter Arzt sei, nur weil er im konkreten Fall kein Antibiotikum verordnet – "eher im Gegenteil".

Bessere Beratung notwendig

Die Befragung der Kammer hat zudem deutlich die Notwendigkeit besserer Beratung aufgezeigt: 82 Prozent der Fachärzte, aber nur 79 Prozent der Befragten ohne Facharztweiterbildung, fühlen sich über Antibiotikatherapien demnach gut informiert.

75 Prozent der Ärzte wünschen sich fachgruppenübergreifend mehr praxisorientierte Fortbildungsangebote der Kammer oder KV zur rationalen Antibiotikatherapie. Ebenfalls zur Verbesserung gewünscht: eine Erfassung regionaler Antibiotika-Resistenzen (95,4 Prozent), bundesweit einheitliche Richtlinien (92,3 Prozent) und die Beseitigung finanzieller Nachteile durch Laboruntersuchungen bei Infektionskrankheiten (79,6 Prozent).

Die LÄKH will hier ansetzen. Bereits heute sei der effektive und rationale Einsatz von Antibiotika Gegenstand in "nahezu allen Fortbildungen", heißt es auf Anfrage der "Ärzte Zeitung". Darüber hinaus hat jüngst das erste Modul der fünfteiligen Fortbildung "Antibiotic Stewardship" stattgefunden (die "Ärzte Zeitung" berichtete). Die Fortbildung für Ärzte in Kliniken ist laut Kammer bisher bundesweit einmalig.

Hier sehen Ärzte Potenzial zur Verbesserung

95,4 Prozent: Erfassung regionaler Antibiotika-Resistenzen

92,3 Prozent: bundesweit einheitliche Richtlinien

79,6 Prozent: Beseitigung finanzieller Nachteile durch Laboruntersuchungen bei Infektionskrankheiten

75 Prozent: mehr praxisorientierte Fortbildungsangebote der Kammer oder KV zur rationalen Antibiotikatherapie

Quelle: LÄKH und MRE Rhein-Main

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