Hausarzt macht mobil gegen Plausiprüfungen

Vor Sozialgerichten würde er mit seinem Anliegen scheitern - das ist Hausarzt Dr. Siegfried Spernau aus dem südhessischen Neu-Isenburg klar. Deshalb will er sich politisch gegen Plausiprüfung und Zeitprofile einsetzen - er kandidiert bei der kommenden KV-Wahl.

Von Monika Peichl Veröffentlicht:
Bei Patienten wie auch in mehreren Medien fand der Schmerzspezialist Dr. Siegfried Spernau Gehör in seinem Kampf gegen die Plausiprüfungen.

Bei Patienten wie auch in mehreren Medien fand der Schmerzspezialist Dr. Siegfried Spernau Gehör in seinem Kampf gegen die Plausiprüfungen.

© ill

NEU-ISENBURG. 111 000 Euro soll der Neu-Isenburger Hausarzt Dr. Siegfried Spernau für die Quartale 2/2005 bis 4/2007 an die KV Hessen zurückzahlen. Spernau gehört zu den mehr als 250 Vertragsärzten, die von der KV an die Staatsanwaltschaft gemeldet wurden, weil sie, gemessen an den Zeitprofilen, zu viel abgerechnet haben.

Die Staatsanwaltschaft hat im April dieses Jahres signalisiert, dass es ihr lieber wäre, die Ärzte einigten sich mit der KV auf die Honorarrückzahlung. Damit könnten sie Ermittlungsverfahren mit Hausdurchsuchung und Patientenbefragung vermeiden.

Davor hat Spernau jedoch keine Angst. Er wollte sich, als er den Bescheid des Prüfungsausschusses Süd erhielt, sogar selbst anzeigen, erfuhr dann aber am Telefon, dass die KV auch ihn an die hessische "Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen" gemeldet hatte.

Er habe sich schon eine "Gefängnisfrisur" schneiden lassen, scherzt er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" und zeigt auf seinen Kurzhaarschnitt.

Die Patienten bezeugen dem Arzt ihre Solidarität

Seine Patienten stehen zu ihm, das weiß der Hausarzt. Seit er wegen des Prüfbescheids an die Öffentlichkeit gegangen ist, bezeugen sie ihm ihre Solidarität: Etwa 800 haben bisher einen Protestbrief unterschrieben, und sie spenden sogar Geld für ihn, weil sie die Honorarrückforderung für "eine Schweinerei" halten.

Einen Namen gemacht hat sich der Hausarzt vor allem als Schmerztherapeut, etwa 80 Prozent seiner Klientel kommen deshalb zu ihm. Manche Patienten nehmen lange Anfahrten in Kauf, um von ihren Schmerzen kuriert zu werden. 2009 erhielt er den Hippokrates Award, eine per Patientenvotum ermittelte Auszeichnung des Gesundheitsportals imedo.de für "Deutschlands beste Hausarztpraxis".

Schmerzpatienten bekommen in seiner Praxis keinen Termin, sondern können jederzeit kommen. Alles andere wäre aus seiner Sicht unterlassene ärztliche Hilfeleistung. "Wenn ich nicht behandle, ist es unterlassene Hilfeleistung. Behandle ich doch, ist es Betrug", so fasst er sein Dilemma zusammen.

Im Durchschnitt wendet er 4,5 Minuten pro Patient auf. Für die Schmerzpatienten nimmt er sich deutlich mehr Zeit, meist sind es fünf Termine mit körperlicher Untersuchung und Besprechung der weiteren Behandlung.

Allein die jeweils zeitunterlegten Pauschalen für Rentner und Chroniker zehren den Großteil des Zeitpensums von 780 Stunden auf, das jedem Vertragsarzt pro Quartal zugestanden wird. Spernau rechnet vor: Bei 700 Rentnern mit chronischen Krankheiten ergeben sich 700 mal 43 Minuten (20 Minuten Zeitvorgabe für die Rentner-Ziffer 03112 und 23 Minuten für den Morbiditätszuschlag 03212).

"Ich kann jedem Kollegen nur raten, die Chroniker-Ziffer wegzulassen", sagt er. So sammle zum Beispiel jeder Landarzt mit 2000 Patienten und 50 Prozent Chronikern "viel zu viele Minuten" an. Zudem hält Spernau das Vorgehen der Prüfer für fehlerhaft, die 03212 an dem Tag, an dem sie eingegeben wird, ins Tagesprofil einzurechnen.

Mit Verweis auf einen Beitrag des Abrechnungsexperten Dr. Dr. Peter Schlüter in der "Ärzte Zeitung" betont er, dass die Ziffer ein Zuschlag sei, keine Leistung, und er sie deshalb an jedem beliebigen Tag im Quartal eingeben könne. Schlüter hatte geschrieben: "Es ist auch nicht gefordert, diesen Zuschlag genau an einem der Tage abzurechnen, an denen der Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat."

"Der Prüfparagraf muss weg!"

Spernaus Kritik geht aber über dieses Detail des Prüfverfahrens hinaus. Der "Prüfparagraf" 106 a SGB V muss weg, lautet seine Forderung. Denn damit werde "das Grundprinzip der Kassen, die Solidarität der Gesunden mit den Kranken", zerstört.

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Grundsätzlich habe er zwar die Umstellung der Vergütung auf Pauschalen begrüßt, aber damit seien auch die früher möglichen "Verdünnerscheine" entfallen. Er freut sich, dass ein Abgeordneter das Thema Plausiprüfung in den Petitionsausschuss des Bundestages eingebracht hat.

Das Prüfverfahren hat sich auch die Liste zur Hauptaufgabe gemacht, auf der Spernau für die anstehende KV-Wahl im Oktober kandidiert: "Gegen zeitbezogene Plausibilitätsprüfung und Beschränkung der Fallzahl" ist sein Wahlaufruf betitelt. Falls er in die Vertreterversammlung gewählt wird, will er "sehr genau auf die Vorgänge achten", er sehe sich "beinahe wie ein Maulwurf" im KV-Apparat.

Aus seiner Sicht gibt es zur Plausiprüfung in Hessen einiges aufzuklären: Warum wurden die Abrechnungen von 2005 bis 2007 erst im Jahr 2009 geprüft? Stimmt es, dass die KV-EDV drei Jahre lang nicht in der Lage war, die Plausibilitätsprüfung durchzuführen? Stimmt es, dass diese Prüfungen erst auf Druck des hessischen Sozialministeriums aufgenommen wurden?

Es werden noch weitere Rückforderungen kommen

Konsequenz der verspäteten Prüfung ist, dass die betroffenen Vertragsärzte für die Quartale nach 2007 weitere Honorarrückforderungen zu erwarten haben. Der KV-Vorstand will dazu derzeit nicht Stellung nehmen. Die Pressestelle teilte mit, die Prüfungen seien aufgrund interner Vorgänge in der Tat spät, aber nicht zu spät erfolgt.

Der "Allgemeine sozialrechtliche Verjährungsanspruch" aus dem Sozialgesetzbuch I gebe eine vierjährige Frist vor und finde hier Anwendung. Die Zeitprofile seien "lediglich Aufgreifkriterien" dafür, sich die abgerechneten Leistungen genauer auf ihre Plausibilität hin anzuschauen.

Nicht jeder Arzt, der auffällig werde, erhalte auch einen Rückforderungsbescheid. Entscheidend sei, ob die abgerechneten Leistungen plausibel und nachvollziehbar seien. "Arbeitstage mit mehr als 24 Stunden sind in jedem Fall nicht plausibel", erläutert die KV.

Spernau hat gegen den Prüfbescheid zwar Widerspruch eingelegt, aber er ist sich im Klaren darüber, dass er vor den Sozialgerichten keine Chance hat, solange das Gesetz besteht. "Den Paragrafen 106 a kann nur der Gesetzgeber ändern", sagt er.

Deshalb will er weiterhin die Öffentlichkeit und die Politiker bearbeiten. Mitstreiter sind willkommen. Seine Wahlliste steht online unter www.kvhessen.de als Liste IV auf der Website der KV Hessen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ins offene Messer laufen gelassen

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