Gewalt gegen Ärzte:

Prävention als strategisches Schutzschild

Gewaltexzesse von Patienten in Praxen sind die Ausnahme, wie eine Befragung in Bayern ergab. Trotzdem sollte das Praxisteam gewappnet sein.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:
Verbal und mit Gesten auf Abstand zu aggressiven Patienten zu gehen, ist ein Ansatz, um Gewalt in der Praxis vorzubeugen.

Verbal und mit Gesten auf Abstand zu aggressiven Patienten zu gehen, ist ein Ansatz, um Gewalt in der Praxis vorzubeugen.

© luismolinero/fotolia.com

MÜNCHEN. Notärzte und Einrichtungen der Notfallversorgung, Ärzte im Bereitschaftsdienst und Psychiater sind potenziell am ehesten von patientenseitiger Gewalt betroffen. Sie hätten es besonders oft mit schwer einschätzbaren Situationen zu tun. Zu dieser Einschätzung gelangte der in München niedergelassene Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Florian Vorderwülbecke. Für das Institut für Allgemeinmedizin der TU München, dessen Lehrbeauftragter er ist, hatte Vorderwülbecke Hausärzte zum Thema Gewalt und Aggression im Praxisalltag befragt.

Ein Thema, das durch spektakuläre Einzelfälle immer wieder auch für mediale Aufmerksamkeit sorgt, wie zum Beispiel die jüngsten Übergriffe auf eine Notärztin und drei Sanitäter in Bayreuth, die tödlichen Schüsse auf einen Kieferorthopäden der Charité oder die Neurologin, die durch einen psychisch kranken Patienten in ihrer Praxis in Saarbrücken niedergestreckt worden ist.

Fast jede Praxis kennt Aggression

Solche Extremfälle sind sehr selten, wie auch Vorderwülbecke konstatiert. Dennoch sollten sich Ärzte und ihr Team für potenzielle Gefahrensituationen in der Praxis wappnen. Denn laut polizeilicher Kriminalstatistik, die auch die Aggression gegenüber Ärzten und Assistenzpersonal auflistet, wurden allein 2014 bundesweit 1852 Straftaten gegen Rettungs- und Feuerwehrkräfte erfasst, 2015 waren es bereits 1939. Großenteils handelte es sich um verbale Konflikte und leichte Körperverletzungen.

Fast alle Ärzte, die Vorderwülbecke befragte, hatten schon Aggression bei Patienten erlebt. Schwere Aggression und Gewalt betraf jeden fünften Mediziner, innerhalb eines Jahres jeden Zehnten. Gerade für den Bereitschaftsdienst schien sich eine relative Häufung abzuzeichnen. Zwei von drei Ärztinnen fühlten sich nach eigener Aussage gerade bei solchen Terminen nicht sicher.

Sollen Ärzte nun mit Abwehrausrüstung auf Hausbesuch gehen? Solche Ideen wurden schon diskutiert, beispielsweise von Vertretern der Bayerischen Landesärztekammer. Protagonisten von Rettungsdiensten, Unfallversicherern und Politik votierten dagegen. Das reflektiert unter anderem ein im Januar 2016 erschienener Beitrag im Bayerischen Ärzteblatt. Ärzte blieben demnach Helfer, die als solche erkennbar sein müssten. Zudem sei fraglich, ob eine Persönliche Schutzausrüstung (PSA) wirklich mehr Schutz biete.

Es gibt aber andere Möglichkeiten der Vorbereitung. In Bayern bietet etwa die Kassenärztliche Vereinigung seit 2015 die Seminarreihe "Sicher im Ärztlichen Bereitschaftsdienst und beim Hausbesuch" an. Bisher hätten 14 Kurse stattgefunden, an denen 176 Ärzte teilnahmen – ein Großteil davon Ärztinnen, die im Bereitschaftsdienst arbeiten. Kursleiter sind Allgemeinärzte mit Erfahrung im Bereitschaftsdienst und psychologisch geschulte Polizeimitarbeiter. Das Konzept erstellte Vorderwülbecke. "Viele Kollegen fahren schon sehr sorglos in ihre Einsätze", sagte er der "ÄrzteZeitung". "Davon sind die Polizisten oft relativ erschüttert."

Konfliktvermeidung via Deeskalation

Die Kurse sollten vor allem dazu dienen, Konflikte zu vermeiden. Ärzte übten dabei unter anderem, sich Patienten schrittweise zu nähern. Schon ein besseres Gefühl für sicheren Abstand könne helfen. Natürlich könne es dennoch Konflikte geben, etwa wegen der Stresssituationen durch eine Verletzung. Negative Einflüsse wie Alkohol oder Drogen könnten diese verschlimmern. "Für den Fall, dass eine Situation eskaliert, trainieren wir einige griffige Formulierungen zur verbalen Deeskalation." Zusätzlich würden einfache Abwehrtechniken trainiert. Dass Ärzte nun bei jedem Hausbesuch einen Angriff fürchten, ist natürlich nicht Sinn der Sache. Vorderwülbecke äußert sich dazu so: "Es ist ein schmaler Grat zwischen Panikmache auf der einen, und dem Anarbeiten gegen Unwissenheit auf der anderen Seite."

Mehr Sicherheit könnten auch medizinisch geschulte Fahrer bieten, die Ärzte bei Hausbesuchen begleiten. Erprobt wird das laut KVB derzeit in Bayern und Baden-Württemberg.

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