AOK Nordwest

Haftungsfalle Behandlungsfehler

Kein Manko bei der Beweislastumkehr, aber dafür beim Haftpflichtschutz der Ärzte sieht die AOK Nordwest. Seit 2001 betreibt die Kasse ein spezielles Kompetenzzentrum für Behandlungsfehler. Seither hat sie sich 27,2 Millionen Euro erstritten.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Je höher die Folgekosten eines Arztfehlers sind, desto eher landet der Fehler auch vor Gericht. Meist, weil sich die Versicherer quer stellen.

Je höher die Folgekosten eines Arztfehlers sind, desto eher landet der Fehler auch vor Gericht. Meist, weil sich die Versicherer quer stellen.

© Aycatcher / fotolia.com

DORTMUND. Die Ärztekammern sollten stärker als bisher kontrollieren, ob ihre Mitglieder über eine angemessene Berufshaftpflicht-Deckung verfügen, und bei Verstößen Sanktionen verhängen.

Das fordert der Vorstandsvorsitzende der AOK Nordwest, Martin Litsch. "Ein ausreichender Versicherungsschutz ermöglicht es den Ärzten eher, sich offensiv mit möglichen Fehlern auseinanderzusetzen", sagte Litsch vor Journalisten in Dortmund.

Die AOK habe Interesse an einem transparenten Umgang mit Behandlungsfehlern und der Etablierung einer Fehlerkultur mit dem Ziel der Fehlervermeidung. "Das können wir nur gemeinsam mit den Ärzten entwickeln", betonte er.

Die AOK Nordwest betreibt seit 2001 ein Kompetenzcenter Medizin. An den Standorten Kiel, Niebüll und Dortmund kümmern sich zwei Ärzte und neun Sozialversicherungsfachangestellte um das Behandlungsfehlermanagement der Kasse.

Über 11.000 Fälle bearbeitet

Der Leiter Dr. Holger Thomsen ist gleichzeitig Arzt und Jurist. Das Team hat bislang 11.307 Fälle vermuteter Fehler bearbeitet, davon 7255 in Westfalen-Lippe und 3782 in Schleswig-Holstein.

"In rund 20 Prozent der Fälle kommen wir zu dem Ergebnis: Es ist ein Behandlungsfehler", berichtete Thomsen. Beim Gros gehe es um kleinere Dimensionen. Die am häufigsten betroffenen Fächer sind Chirurgie, Gynäkologie und Orthopädie.

Geht die AOK von einem ärztlichen Fehler aus, beginnen in der Regel die Verhandlungen mit den Haftpflichtversicherern, von denen die Kasse die ihr dadurch entstandenen Kosten zurückholen will.

Gerade bei kostenträchtigen Fällen würden die Versicherer die Haftung verneinen, sagte er. Dann klagt die AOK. Über die Jahre hat sie so 27, 2 Millionen Euro erstritten - 15,3 Millionen Euro in Schleswig-Holstein und 11,9 Millionen Euro in Westfalen-Lippe.

Nach Angaben Thomsens gewinnt die AOK Nordwest 25 Prozent der Prozesse, 20 Prozent verliert sie, 55 Prozent enden mit einem Vergleich. "Dabei erhalten wir 70 bis 80 Prozent der geforderten Summen."

Die Versicherten müssen sich selbst um ihre Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen kümmern.

Die Verfahren der AOK Nordwest bilden aber eine gute Grundlage für die Klagen von Patienten. Im Prozess geht es um die Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliegt oder nicht. "Wenn wir es beweisen können, kann es der Versicherte auch", so Thomsen.

Bei den meisten anderen Kassen sei es die Ausnahme, dass sie mit einer eigenen Klage in die Offensive gehen, sondern sie schlössen sich in der Regel mit ihren Regressforderungen den Prozessen der Versicherten an.

Gutachten nicht objektiv genug?

Hat der Arzt eine zu geringe Haftpflichtdeckung, werden die Ansprüche der Patienten zuerst reguliert, erläuterte er. Im Moment hat die Kasse drei Verfahren, in denen die Ärzte nicht zahlen können.

"In einem Fall hat der Insolvenzverwalter die Beiträge für die Haftpflichtversicherung nicht gezahlt", sagte Thomsen.

Der Arzt bemängelte, dass die von den Gerichten bestellten medizinischen Gutachten nicht immer objektiv seien. Das mache die Verfahren aufwendiger, weil die Kasse dann ein Gegengutachten erstellen müsse.

Von der Kritik nahm er die Gutachterkommissionen bei den Ärztekammern aus. Ihnen bescheinigte er in der Regel eine hohe Qualität. Eine generelle Beweislastumkehr zulasten der Ärzte lehnt Thomsen ab.

Es gebe bereits genügend Möglichkeiten der Beweislastumkehr, mit dem jetzigen System könne die Kasse gut leben. "Wir müssen aufpassen, dass wir den Medizinbetrieb nicht lahmlegen", bestätigte AOK-Chef Litsch.

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