Mitarbeiter-Gesundheit in der EU

Betriebe kümmern sich zu wenig um Stress

Psychosoziale Risikofaktoren im Job stehen europaweit an oberster Stelle der Gefährdungspotenziale am Arbeitsplatz. Wie jetzt eine Unternehmensbefragung ergeben hat, gehen die Betriebe die Herausforderung aber eher zögerlich an.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. Nicht etwa die körperliche Belastung oder die Exposition gegenüber Gefahrstoffen stellt für die Gesundheit der Belegschaften in den 28 Staaten der Europäischen Union (EU-28) die größte Bedrohung dar, sondern ein psychosozialer Risikofaktor.

 Über alle Branchen gemittelt, stellen für 58 Prozent der Unternehmen der Umgang mit schwierigen Kunden, Patienten, Schülern etc. den größten im Betrieb vorhandenen Risikofaktor für die Gesundheit der Mitarbeiter dar. Im Bereich Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen liegt der Wert sogar bei 75 Prozent.

An zweiter Stelle der im Betrieb vorhandenen Risikofaktoren stehen über alle Branchen hinweg mit 56 Prozent anstrengende oder schmerzhafte Arbeitshaltungen, darunter auch langes Sitzen, gefolgt von repetitiven Hand- oder Armbewegungen mit 52 Prozent auf Rang drei.

Fast 50.000 Betriebe in 36 Ländern befragt

Das geht aus der zweiten Europäischen Unternehmensbefragung über neue und aufkommende Risiken (European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks, ESENER-2) der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) hervor.

Im Sommer/Herbst 2014 sind nach Agenturangaben insgesamt 49.320 Betriebe - aus allen Branchen und mit mindestens fünf Beschäftigten - in 36 Ländern befragt worden. Außer den EU-28-Staaten waren dies Albanien, Island, Montenegro, Mazedonien, Serbien, die Türkei, Norwegen und die Schweiz.

Es seien jene Mitarbeiter und Führungskräfte befragt worden, die sich mit dem Thema des Arbeitsschutzes hauptsächlich beschäftigen. Der Fokus habe auf Fragen zu psychosozialen Risiken, wie arbeitsbedingtem Stress, Gewalt und Belästigung gelegen.

Psychosoziale Risikofaktoren und der Umgang mit ihnen respektive der Schutz der Mitarbeiter sind - zumindest in Deutschland - ganz klar integraler Bestandteil eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM).

Dennoch hadern viele der befragten Unternehmen in den 36 Staaten mit der Herausforderung, werden sie im Vergleich zu "klassischen" Risikofaktoren als schwieriger empfunden. Für die EU-28 gaben 30 Prozent der Betriebe an, dass psychosoziale Probleme nicht offen angesprochen würden.

Fast ein Fünftel der betroffenen Betriebe gibt auch an, dass ihnen Informationen oder entsprechende Instrumente für den effizienten Umgang mit diesen Risiken fehlen, ihr BGM also Defizite aufweist.

Betrachtet man die Gründe, die Betriebe zur Beschäftigung mit Fragen von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit motivieren, wird von 85 Prozent der Betriebe in der EU-28 als Hauptgrund das Erfüllen einer gesetzlichen Verpflichtung angegeben.

In Deutschland verpflichtet zum Beispiel Paragraf 5 Arbeitsschutzgesetz die Unternehmen, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz auch die psychischen Belastungen zu erfassen.

Die Betriebe sollten sich jedoch nicht nur um die Erfüllung der Rechtsvorschrift kümmern, denn allein aus Deutschland gibt es im Hinblick auf psychosoziale Risikofaktoren im Job eine alarmierende Zahl.

Mit 40 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen stehen psychische Erkrankungen nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) auf Platz zwei bei den Krankschreibungen in Deutschland.

Psychologen noch nicht so gefragt

Was den Einsatz von Dienstleistern im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz im Unternehmen angeht, zeigt sich, dass hier in der EU-28 am häufigsten - wie zu erwarten - Betriebsmediziner (68 Prozent) eingesetzt werden.

Darauf folgen laut Erhebung Generalisten für Gesundheitsschutz und Sicherheit (63 Prozent) sowie Fachleute für Unfallverhütung (52 Prozent). Im Hinblick auf psychosoziale Risiken berichten nur 16 Prozent der Betriebe vom Einsatz eines Psychologen.

Etwa 33 Prozent der Betriebe mit über 20 Mitarbeitern in der EU-28 geben an, dass sie über einen Aktionsplan zur Vorbeugung von arbeitsbedingtem Stress verfügen. Besonders bei den Betrieben, die vom Umgang mit schwierigen Kunden, Patienten oder Schülern berichten, geben 55 Prozent der Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern an, dass sie ein Verfahren zum Umgang mit dieser Art von Risiko eingerichtet haben.

Was die Maßnahmen betrifft, so werden am häufigsten die Umorganisation der Arbeit zur Verringerung von Arbeitsanforderungen und Arbeitsdruck (38 Prozent) sowie die vertrauliche Beratung Beschäftigter (36 Prozent) genannt.

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