Psychotherapie

Neuland Videosprechstunde

Psychotherapeutische Sprechstunde ohne Wartezeit, direkte ambulante Weiterbehandlung nach der stationären Reha, Therapiegruppen, Videosprechstunden - alles Zukunftsmusik? Bereits umgesetzt sind diese gesundheitspolitischen Absichten im Institut für psychogene Erkrankungen in Berlin.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Dr. Alexander Kugelstadt bietet am Berliner Institut für psychogene Erkrankungen die Videosprechstunde an.

Dr. Alexander Kugelstadt bietet am Berliner Institut für psychogene Erkrankungen die Videosprechstunde an.

© ami

BERLIN. Die Patienten im Institut für psychogene Erkrankungen (IpE) kommen aus ganz Berlin. Manche kommen aus Brandenburg und sogar aus Mecklenburg-Vorpommern. Warum? Weil sie am IpE direkt einen Termin bekommen, während sonst bei Psychotherapeuten in der Region fast überall Wartezeiten einkalkuliert werden müssen.

Zum einen bietet das IpE Sprechstunden an. Das ermöglicht Patienten einen einfachen, schnellen Erstzugang. Doch es kooperiert auch mit Krankenhäusern. So können im Rahmen des Entlassmanagements schon Vorgespräche geführt werden, während die Patienten noch in stationärer Behandlung sind.

"Eine gute Kooperation mit einer ambulanten Einrichtung, wie sie beispielsweise zwischen dem Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe und unserem Institut besteht, ist sehr hilfreich und kann den Übergang für die Patienten erheblich erleichtern", meint Dr. Alexander Kugelstadt, der seine Facharzt-Weiterbildung im Krankenhaus Havelhöhe und am IpE absolviert hat, und der ambulanten Einrichtung danach treu geblieben ist. Mit vier Kliniken bestehen solche Kooperationen.

Verkürzte Wege für Patienten

Bei den Vorgesprächen mit den stationären Patienten werden Konzepte für die ambulante Weiterbehandlung erarbeitet. Die schnelle Umsetzung ist am IpE erleichtert, denn das Institut gehört zum Centrum für Gesundheit (CfG) der AOK Nordost und nutzt einen vereinfachten Antragsmodus für Psychotherapie. Es kann aber nur AOK-Patienten behandeln.

Die Patienten wissen dieses Schnittstellenmanagement zu schätzen. "Der Übergang von der stationären Versorgung in eine anschließende ambulante Behandlung stellt für die Betroffenen eine besonders kritische Phase der Behandlungskette dar", sagt Dr. Michael Rudolph, leitender Arzt des IpE. Aus seiner Sicht bringen die Kooperationen eine zentrale Verbesserung und Verkürzung der üblichen Wege der Patienten.

Doch die Kooperation mit den Kliniken beschränkt sich nicht nur auf das Schnittstellenmanagement für Patienten. Sie umfasst auch die Facharzt-Weiterbildung. Derzeit absolvieren elf junge Ärzte ihre Weiterbildung zum Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Institut. Damit zählt es zu den großen Ausbildern.

Ergänzung der Präsenzbehandlung

Seine Größe ist es auch, die das IpE geradezu dafür prädestiniert, systematisch neue Versorgungswege einzuschlagen und sie auch zu erforschen. Auf diese Weise hat schon in den 1960er Jahren die damalige Institutsleiterin Annemarie Dührssen mit einer groß angelegten Katamnesestudie zur Anerkennung der ambulanten Psychotherapie in der Gesetzlichen Krankenversicherung beigetragen. Aktuell betritt das Institut Neuland mit einer Videosprechstunde.

"Wir sehen das als neue Möglichkeit, die Präsenzbehandlung zu ergänzen. Vor allem für Tumorpatienten ist das eine Möglichkeit, kontinuierlich in psychoonkologischer Behandlung zu sein, ohne immer fahren zu müssen", erläutert CfG-Leiter Rainer Schmidt.

 Er sieht das IpE dabei als "Trendsetter im Bereich der neuen Medien" und zeigt sich überzeugt: "Wir haben hier eine Chance, das in erster Hand zu erproben." Die Videosprechstunde betrachtet Schmidt als "effektiven Mehrwert insbesondere für Patienten, die von weit her kommen".

Die psychotherapeutische Videosprechstunde ist kein Angebot für jedermann. IpE-Leiter Rudolph legt Wert darauf, dass alle Patienten sich zunächst persönlich vorgestellt haben. Erst wenn die Ärzte einen Patienten gut genug kennen, um zum Beispiel die Suizidgefährdung einschätzen zu können, kommt eine Videosprechstunde in Betracht.

Für einen Angstpatienten, der möglichst nicht aus dem Haus will, sieht Rudolph keine Indikation für eine Videosprechstunde. Angebracht ist die neue Behandlungsform aber aus seiner Sicht zum Beispiel bei einer Studentin, die bereits seit einem Jahr wegen Depression behandelt wird und ein Auslandssemester absolviert. "In diesem Fall ist die Videosprechstunde gut, um eine Behandlungsunterbrechung zu vermeiden", sagt er.

Aufgrund der strengen Indikationsstellung nutzt ein halbes Jahr nach der Einführung erst eine kleine Zahl von Patienten das neue Angebot. So beendet eine Patientin, die aus Berlin weggezogen ist, auf diese Weise ihre Behandlung im IpE. Auch manche Patienten mit körperlichen Beeinträchtigungen, etwa nach Unfällen, nutzen die Videosprechstunde.

Die browsergestützte Softwarelösung für eine sichere Videoverbindung mit verschlüsseltem TAN-Verfahren kommt von der Firma Patientus. Die Patienten wählen sich kurz vor dem vereinbarten Termin ein, melden sich an und warten im virtuellen Wartezimmer, bis der Arzt sie aufruft.

Auch bei Zweitmeinung denkbar

Noch arbeiten nicht alle Ärzte am IpE mit der neuen Technik. Doch: "Insgesamt überwiegt das Interesse", sagt Kugelstadt, der das Projekt betreut. "Vor allem ich als jüngerer Kollege gehe davon aus, dass die digitale Entwicklung ohnehin in unserem Berufsleben eine wachsende Rolle spielen wird", so Kugelstadt.

CfG-Leiter Schmidt hat noch mehr vor: Er kann sich vorstellen, Videosprechstunden bald auch in anderen Fachbereichen, zum Beispiel für Zweitmeinungsverfahren einzurichten.

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