Tele-Therapie gegen Stottern

Ein großer Schritt in Richtung flüssiges Sprechen

Computer, Headset, Software: Um stotternden Menschen zu helfen, muss es womöglich keine Präsenztherapie sein. Zum Weltstottertag liefern erste Studienergebnisse Anzeichen für telemedizinische Erfolge.

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Mit einer speziellen Software lernen die Patienten, das Stottern in den Griff zu bekommen.

Mit einer speziellen Software lernen die Patienten, das Stottern in den Griff zu bekommen.

© Kasseler Stottertherapie

Von Jana Kötter

NEU-ISENBURG. Gut ein Jahr nach dem Start der weltweit ersten Teletherapie für stotternde Menschen ziehen die Initiatoren zum Weltstottertag an diesem Donnerstag eine positive Zwischenbilanz.

Erste Ergebnisse einer Vergleichsstudie zeigten, dass die teletherapeutisch behandelten Patienten ähnlich starke Behandlungserfolge erzielen konnten wie Präsenzpatienten, sagt Professor Harald Euler.

"Auch die psychosozialen Belastungen werden deutlich reduziert", so der wissenschaftliche Direktor des Parlo-Instituts für Forschung und Lehre in der Sprachtherapie, das die onlinebasierte Intensiv-Stottertherapie gemeinsam mit dem Institut der Kasseler Stottertherapie entwickelte.

"Deshalb ist die Hoffnung sehr begründet, dass die dreijährige Vergleichsstudie zeigen wird, dass auch eine Online-Behandlung sehr gute Langzeitergebnisse bringt."

Therapeut auf dem Bildschirm

Das Konzept hinter der Online-Therapie ist dabei denkbar einfach; sie basiert im Wesentlichen auf den Ansätzen der klassischen Präsenztherapie - nur, dass der Therapeut während der Online-Stunde eben auf dem Bildschirm und nicht auf dem gegenüberliegenden Stuhl erscheint.

Beide Therapieformen sind inhaltlich jedoch nahezu deckungsgleich und arbeiten mit der Spezial-Software "Flunatic", um durch verlangsamtes Sprechen, richtige Zwerchfellatmung und weichen Stimmeinsatz ein neues Sprechmuster zu erlernen.

Seit dem Start im Sommer 2014 haben 60 Patienten an der Online-Behandlung teilgenommen. Ausgewertet wurden laut Kasseler Stottertherapie bisher Daten von je 35 Teilnehmern der Tele- und Präsenztherapie.

Beide Therapieformen wurden im vergangenen Jahr wissenschaftlich begleitet; untersucht wurden im Vergleich die objektive Sprechunflüssigkeit (Anteil gestotterter Silben), die subjektive Einschätzung der Patienten zur psychosozialen Belastung durch das Stottern und die Veränderung in beiden Bereichen während und nach der Therapie.

Die Teletherapie erstreckt sich über zwölf Monate auf insgesamt 43 Einheiten, die in der Regel 90 Minuten dauern; benötigt werden Headset, Software, Apps, Computer sowie eine Webcam. In der konventionellen Behandlung folgt auf die zweiwöchige stationäre Intensivphase eine zehnmonatige Erhaltungsphase, in der die Übungsleistungen mit einer Software kontrolliert werden.

Zur Vermeidung von Rückfällen werden zwei Präsenz-Auffrischungswochenenden angeboten; der ursprünglich dritte Refresher wurde bereits zu teletherapeutischen Einheiten modifiziert.

Nicht für jeden geeignet?

Für Euler liegen die Vorteile der mit dem Medizin-Management-Preis ausgezeichneten Teletherapie auf der Hand: Fahrt-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten entfallen, die Patienten werden alltagsnah in ihrem eigenen sozialen Umfeld begleitet.

"Dadurch fehlen sie nicht in der Schule, in der Universität oder am Arbeitsplatz." Die Online-Therapie ist vertraglich mit der TK als Partner abgesichert.

Auch Dr. Alexander Wolff von Gudenberg, Gründer und Leiter der Kasseler Stottertherapie, ist zufrieden mit den Ergebnissen. Er gibt jedoch zu bedenken, dass die rein onlinebasierte Therapieform nicht für jeden geeignet ist: So seien neben einer stetigen Therapiemotivation und Selbstdisziplin auch IT-Affinität und -Kompetenz nötig.

Dies sei oft eher bei Jüngeren der Fall. "Einige Menschen suchen auch bewusst den persönlichen Kontakt zum Therapeuten und nehmen Aufenthalts- oder Reisekosten gerne in Kauf." Außerdem, sagte von Gudenberg der "Ärzte Zeitung" jüngst am Rande des 2. Hessischen E-Health-Kongresses, sei es schwierig, die Compliance mit den Maßnahmen zu überprüfen - hier sei Vertrauen in die Patienten nötig.

Für die Zukunft sehe er daher kein Ende für die Präsenztherapie - wohl aber ein gleichwertiges Miteinander der beiden Therapieformen.

Mehr Informationen zum Angebot unter www.kasseler-stottertherapie.de

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