Technik auf dem Vormarsch

Wer hat Angst vor dem digitalen Darwinismus?

Das Internet demokratisiert die Medizin. Es baut Barrieren ab, schafft Informationszugänge. Es verursacht aber auch neue Ängste - nicht zuletzt, weil bestehende Strukturen und Organisationen hinfällig werden.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

BERLIN. "Digitaler Darwinismus" - ein Begriff zum Fürchten? In der Tat! Digitaler Darwinismus entsteht, wenn Technologie und Gesellschaft sich schneller verändern als bestehende Organisationen und Strukturen dies tun.

Die Folge, so Jost Hertle, Industry Head Health Care bei Google auf dem Unternehmertag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie in Berlin, ist die gnadenlose Selektion von Unternehmen und Organisationen im Markt.

Die Folge: Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die im Jahr 2000 auf der Forbes-Liste weltweit ganz oben standen, sind heute nicht mehr existent.

Der Selektionsprozess könnte nun auch die Gesundheitswirtschaft erfassen, wenn sie sich nicht den Herausforderungen und Möglichkeiten des digitalen Zeitalters stellt. Beispiele für Chancen laut Hertle:

  • Vier von fünf Augenkrankheiten können laut Hertle inzwischen via Smartphone diagnostiziert werden - eine Option vor allem für gefährdete Menschen in der Dritten Welt, bislang nicht verfügbare Diagnostik zugänglich zu machen.
  • Via Smartphone können Frauen in ihrer Schwangerschaft lückenlos begleitet werden, ebenso können Diabetiker bei auftretenden Risiken ihren Krankheitsverlauf kontrollieren lassen.

14 Millionen Gesundheits-Suchanfragen bei Google

Aber neben den - laut Hertle - nicht selten überbewerteten Gesundheits-Apps findet vor allem eine Demokratisierung der Medizin statt: So zählt Google täglich 14 Millionen gesundheitsbezogene Suchanfragen pro Tag, mit einem Wachstum von 15 Prozent pro Halbjahr. Die Nutzung des Internets sei kein Privileg der jungen Generation mehr.

Auch Menschen über 60 nutzen die digitale Informationsbeschaffung - und überfordern dabei nicht selten ihre Ärzte und deren Zeitbudgets.

Das deutsche Gesundheitssystem reagiert darauf mit erheblicher Zeitverzögerung. Die elektronische Gesundheitskarte als Ziel steht seit zehn Jahren im Gesetz, Dynamik, Intensität und Qualität der Kommunikation wachsen, vor allem an der Basis, aber extrem heterogen, stellt Dr. Katja Leikert (CDU), die Berichterstatterin für das E-Health-Gesetz im Gesundheitsausschuss des Bundestages, fest.

Gemeinsame Infrastruktur soll helfen

Bis heute gebe es keine medizinischen Anwendungen der E-Karte. Das soll sich nun ändern, indem in naher Zukunft eine gemeinsame Telematik-Infrastruktur geschaffen wird. Doch die Ansprüche sind einstweilen bescheiden und beschränken sich etwa auf einen Notfalldatensatz oder einen Medikationsplan; als Option käme etwa ein Impfausweis dazu.

Aber die Nutzung bereits vorhandener Daten, etwa in Registern, bei Krankenkassen und auf zukünftigen E-Cards für Zwecke der Versorgungsforschung habe noch keine gesetzliche Grundlage. Das müsse noch nachgeholt werden, so Leikert.

Sie ist sich sicher: Im Parlament gebe es eine große Geschlossenheit zur Digitalisierung auch der Medizin. "Der Datenschutz ist nicht mehr das große Mantra." Ulf Maywald von der AOK plus sieht das genauso: "Die gesetzlichen Grundlagen zum Datenschutz im SGB V stammen aus der Zeit der Floppy Disc. Das ist nicht mehr zeitgemäß."

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