Hintergrund

Finanzministerium bläst zur Jagd auf Steuersünder

Mit der einheitlichen Identifikationsnummer sollen säumige Steuerzahler aufgespürt werden. Eine Musterklage könnte die Überwachung noch verhindern.

Von Richard Haimann Veröffentlicht:

Die einen sehen in ihnen einen Beitrag zur Steuergerechtigkeit, die anderen einen Schritt hin zum Überwachungsstaat: Die neuen Steueridentifikationsnummern, über die das Bundeszentralamt für Steuern seit August jeden Einwohner vom Babyalter an erfasst, haben bundesweit eine Debatte darüber entzündet, wie viel der Staat über seine Bürger wissen darf.

Bürgerrechtsorganisation schlägt Alarm

Zu den entschiedenen Gegner der Steueridentifikationsnummer - offizielles Amtskürzel IdNr - zählt die Humanistische Union (HU). Dabei handelt es sich um Deutschlands älteste Bürgerrechtsorganisation. Deren Vorsitzende Rosemarie Will, Professorin für Öffentliches Recht der Berliner Humboldt Universität und Richterin am Verfassungsgericht Brandenburg, hat gegen die IdNr-Einführung Musterklage beim Finanzgericht Köln eingereicht und will das Verfahren bis vor das Bundesverfassungsgericht treiben. "Wir fürchten, dass mit der Identifikationsnummer ein Personenkennzeichen geschaffen wird, das die Erkenntnisse verschiedener Behörden über jeden Bürger abrufbar macht - von den Punkten in der Verkehrssünderkartei in Flensburg bis hin zu Krankheiten", sagt HU-Vizevorstand Fredrik Roggan.

Die Identifikationsnummern werden seit August vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) ausgegeben. Sie gelten ein Leben lang und werden 20 Jahre nach dem Tod des Steuerpflichtigen gelöscht. Bisher erhielten Steuerpflichtige neue Steuernummern, wenn sie bei einem Umzug in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamtes wechselten.

Neugeborene erhalten die Identifikationsnummer, sobald sie beim Standesamt registriert sind. "Nach dem Einkommensteuergesetz ist jeder Bundesbürger bereits vom Zeitpunkt der Geburt an steuerpflichtig", erläutert ein Sprecher des Bundeszentralamtes für Steuern. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn die Mutter bei der Geburt sterbe, weil ihr Vermögen dann zumindest teilweise auf das Kind übergehe.

Zwei Millionen Rentnern droht Nachzahlung

"Mit den Identifikationsnummern will das Bundesfinanzministerium Steuersündern auf die Schliche kommen", sagt Karola Wieschemann vom Lohnsteuerhilfeverein Südniedersachsen. Im Visier der Steuerfahnder stehen dabei insbesondere Rentner. Die müssen seit Einführung des Alterseinkünftegesetzes im Jahr 2005 nicht mehr 27, sondern 50 Prozent ihrer Rentenbezüge steuerlich veranschlagen. Ministerialbeamte Im Bundesfinanzministerium gehen jedoch davon aus, dass längst nicht alle Betroffenen dieser Pflicht nachkommen. Vom nächsten Jahr an müssen deshalb die Rentenzahlstellen - die Deutsche Rentenversicherung, Pensionskassen, Pensionsfonds, Direktversicherungen und Versorgungswerke - sämtliche seit 2005 erfolgten Zahlungen samt IdNr der Empfänger an die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) melden. Etwa zwei Millionen Rentner müssten mit Steuernachzahlungen rechnen, schätzt die Deutsche Steuergewerkschaft (DStG). "Wenn 2009 die Daten der Rentenversicherungsträger an die Finanzämter gehen, wird es zu rückwirkenden Forderungen kommen", meint DStG-Vizevorsitzender Manfred Lehmann.

Für Rentner, die ihrer Steuerpflicht nicht nachgekommen sind, kann das teuer werden. "15 Monate nach Ablauf des Steuerjahres kann der Fiskus auf die unterschlagenen Steuern sechs Prozent Zinsen erheben", sagt Wieschemann. So harte Maßnahmen will das Bundesfinanzministerium jedoch nicht ergreifen. Rentner, die aus Unwissenheit steuersäumig seien, müssten nur die offenen Forderungen nachzahlen, sagt eine Ministeriumssprecherin. "Sie haben keine Steuerstrafverfahren zu befürchten."

Unklar ist, ob das Bundeszentralamt für Steuern überhaupt alle Steuerpflichtigen mit der IdNr versehen kann. Denn die Adresslisten der Zentralbehörde sind offenbar größtenteils veraltet. Allein im Einwohnermeldeamt des oberbayerischen Ebersberg sind über 300 Irrläufer des Bundeszentralamtes gelandet. Einwohnermeldeamtschef Peter Lechner: "Unzustellbare Schreiben bringt die Post zu den Einwohnermeldeämtern, weil diese die neuen Adressen der Steuerpflichtigen für das Bundeszentralamt ermitteln sollen."

Selbst Neugeborene erhalten schon die Nummer.

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