Schweiz

Eidgenossen rütteln am Fundament ihrer Banken

Die Schweizer stimmen nächstes Jahr über einen revolutionären Umbau ihres Geldwesens ab. Einige Experten erwarten deshalb Turbulenzen an der Börse in Zürich. Wie sich die Änderungen langfristig auswirken könnten, ist umstritten.

Von Richard Haimann Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. Der Sachverhalt ist kompliziert. Dennoch konnte die Schweizer Vollgeldinitiative in wenigen Monaten die nötigen 100.000 Unterschriften für einen Volksentscheid im kommenden Jahr zusammenbekommen.

Ziel der von renommierten Ökonomen wie Irmi Seidel von der Universität Zürich, Peter Ulrich von der Universität St. Gallen und Sergio Rossi von der Universität Freiburg unterstützten Bewegung ist nicht weniger als eine Revolution des Finanzsystems: Banken soll die Lizenz zum Gelddrucken entzogen werden.

Dies geschieht derzeit tagtäglich. Denn mit jedem Kredit, den Banken ausreichen, schöpfen sie Geld aus dem Nichts. Nur ein Bruchteil der ausgehändigten Darlehen müssen die Geldhäuser mit Eigenkapital hinterlegen oder stammt aus Spareinlagen. Der weit überwiegende Teil des verliehenen Geldes wird von den Banken selbst erzeugt.

Das berge erhebliche Gefahren für die Wirtschaft, weil es Spekulationsblasen erzeuge, argumentieren Befürworter der Vollgeldinitiative.

"Die prozyklische Kreditvergabe durch privatwirtschaftliche, Gewinn orientierte Geldhäuser trägt wesentlich zur Entstehung von Finanzkrisen bei", sagt Helge Peukert, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erfurt.

Nationalbank als zentraler Geldgeber?

Die Schweizer Initiative will Banken deshalb das Recht zur Geldschöpfung entziehen. Stimmt die Mehrheit der Eidgenossen beim Volksentscheid im kommenden Jahr für die Reform, könnten Banken im Alpenland künftig nur noch Geld als Darlehen ausreichen, das sie sich vorher von der Schweizer Nationalbank geliehen haben.

Die Zentralbank könne damit nicht nur die im Umlauf befindliche Geldmenge steuern, sagt Hansruedi Weber, Präsident des Vereins Monetäre Modernisierung, der die Initiative gestartet hat.

"Sie könnte auch mit den Zinsen, die die Banken für das Geld der Zentralbank zahlen müssten, die Staatsschulden deutlich verringern." Reiche die Nationalbank die Kredite an die Banken nur zu einem Minizins von 0,1 Prozent aus, könnte sie jährlich mehr als 25 Milliarden Franken an den Staat überweisen.

Die Argumentation verfängt bei vielen Eidgenossen. Umfragen Schweizer Medien zufolge unterstützen 58 Prozent der Wahlberechtigten die Initiative. Profiinvestoren wie Fonds, Pensionskassen und Versicherungen hingegen fürchten, dass eine zentral von der Nationalbank gesteuerte Kreditvergabe Darlehen verteuern und möglicherweise sogar verknappen wird.

Es drohe "eine ungenügende Kreditversorgung der Wirtschaft", warnt Karsten Junius, Chefökonom der Baseler Bank Safra Sarasin.

Reaktion auf Volksentscheid

Entsprechend reagierte die Börse in Zürich, als die Initiative jetzt die nötigen Unterschriften für den Volksentscheid zusammenbekam: Die Aktienkurse großer, auf Fremdkapital angewiesener Konzerne wie der Nahrungsmittelhersteller Nestlé und von Pharmaunternehmen wie Novartis und Roche fielen am Tag darauf deutlich.

Bereits in den drei Monaten zuvor hatten Aktien der beiden großen Schweizer Banken Credit Suisse und UBS jeweils mehr als zwölf Prozent verloren.

Kursschwankungen erwartet

Experten erwarten, dass die Kurse Schweizer Aktien in den kommenden Monaten stärker schwanken werden. "Je näher der Volksentscheid rückt, desto unsicherer werden Börsianer werden", sagt ein Händler an der Börse in Zürich.

"Für langfristig orientierte Anleger bieten vorübergehende Kurseinbrüche die Chance, sich günstig mit eidgenössischen Qualitätstiteln einzudecken", sagt Moritz Westerheide, Analyst der Bremer Landesbank.

Denn egal, wie der Volksentscheid in kommenden Jahr ausgeht: "Konzerne wie Nestlé, Novartis und Roche erzielen den Großteil ihrer Umsätze und Gewinne außerhalb der Schweiz", sagt Westerheide. "Und sie können auch im Ausland günstig an Kredite gelangen."

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