Kassen warnen

Vorsicht, IGeL!

"Irgendwie Geld einbringende Leistungen" - ein neues Synonym für IGeL? Um Sinn und Methode der Selbstzahlerleistungen gibt es weiter Streit. Das zeigt die Bilanz der Kassen zum ersten Geburtstag des IGeL-Monitors.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Kassen warnen vor IGeL.

Kassen warnen vor IGeL.

© BerlinStock / fotolia.com

BERLIN. Viele Ärzte klären nicht ausreichend über Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) auf. Und: Die meisten Selbstzahlerangebote schneiden im Nutzen-Schaden-Vergleich schlecht ab.

Zu diesem Ergebnis kommt der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS).

Er zog am Mittwoch in Berlin Bilanz zum einjährigen Bestehen des Bewertungsportals "IGeL-Monitor" (www.igel-monitor.de).

"Für die Versicherten bedeutet dies: Augen auf beim IGeL-Kauf", fasste Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS, die Ergebnisse zusammen.

Mangelhafte Aufklärung

Immer mehr Patienten werden in der Praxis Selbstzahlerleistungen angeboten. Hatten vor zehn Jahren noch zehn Prozent der gesetzlich Versicherten in den vergangenen zwölf Monaten eine Privatleistung angeboten bekommen, waren es 2012 schon rund 30 Prozent.

So das Ergebnis einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Nur knapp die Hälfte (46,2 Prozent) der Patienten wurde darüber informiert, wie zuverlässig die Untersuchungsmethode ist. Bei rund 39 Prozent der Patienten wurde dies nicht thematisiert.

Gleichzeitig wächst der IGeL-Markt. Allein von 2010 auf 2012 stieg die Menge der angebotenen IGeL von 20,9 auf 26,2 Millionen, so das WIdO.

Dabei seien geschätzt 18,2 Millionen realisiert und damit auch abgerechnet worden. Das entspreche einem Marktvolumen von rund 1,3 Milliarden Euro.

Als IGeL am meisten nachgefragt seien der Ultraschall der Eierstöcke, der PSA-Test, Augeninnendruckmessung zur Glaukomfrüherkennung, die Professionelle Zahnreinigung sowie der Ultraschall der Brust zur Krebsfrüherkennung .

Jetzt 30 IGeL auf dem Prüfstand

Um ein Viertel binnen Jahresfrist angewachsen ist die Anzahl der bewerteten Selbstzahlerangebote. Waren es 2012 noch 24, sind es jetzt insgesamt 30.

Neu hinzugekommen ist unter anderem der Ultraschall zur Brustkrebsfrüherkennung bei Frauen unter 50 und über 69 und Frauen im Screening-Alter, die zwischen den Zwei-Jahres-Intervallen eine Ultraschalluntersuchung wünschen. Nutzen unklar, so das Urteil von IGeL-Monitor.

Von den 30 IGeL fielen zwölf in die Kategorie "negativ oder tendenziell negativ", elf wurden als "unklar" klassifiziert, drei als "tendeziell positiv", vier wurden nur beschrieben.

Wolfgang Zöller, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, warnte am Mittwoch Ärzte wie Patienten davor, dass IGeL zu "Irgendwie Geld einbringenden Leistungen" werden. Damit kein Bruch im Vertrauensverhältnis Arzt-Patient drohe, müssten sich alle an die Spielregeln halten. Dazu führte Zöller auf:

IGeL dürfen nicht aufgedrängt, sondern nur auf Verlangen der Patienten erbracht und auch nur dann abgerechnet werden.

› Die Patienten müssen umfassend und verständlich aufgeklärt werden.

› Vor der Leistung muss ein schriftlicher Behandlungsvertrag geschlossen werden.

› Patienten muss eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt werden.

› Selbstzahlerleistungen müssen von GKV-Leistungen getrennt werden.

› GKV-Leistungen dürfen nicht pauschal abgewertet werden.

› Kalkulation und Abrechnung müssen nach der Gebührenordnung für Ärzte erfolgen.

Wie Zöller weiter appellierte, sollten in Sachen IGeL aber auch Patienten die Initiative ergreifen, um Schindluder mit Selbstzahlerleistungen in der Praxis vorzubeugen.

"Meine Empfehlung: Fragen Sie zuerst den Arzt, ob die angebotene Leistung medizinisch sinnvoll oder sogar notwendig ist. Wenn ja, müsste es eigentlich die Kasse zahlen. Lassen Sie sich die Vor- und Nachteile aufzählen. Und im Zweifel nehmen Sie sich Bedenkzeit. IGeL sind nie eilbedürftig. Sie haben immer genug Zeit, sich an Ihre Krankenkasse zu wenden oder sich im Internet über den IGeL-Monitor zu informieren."

Kassen sehen Gesetzgeber in der Pflicht

Dr. Doris Pfeiffer, Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, vertraut beim Thema IGeL anscheinend nicht auf eine gesunde Arzt-Patienten-Beziehung. Sie sieht, wie sie in Berlin ausführte, den Gesetzgeber in der Pflicht - beim Patientenrechtegesetz.

"Im neuen Patientenrechtegesetz sind unter anderem die Notwendigkeit eines schriftlichen Behandlungsvertrages sowie bestimmte Informations- und Aufklärungspflichten durch den Arzt festgelegt worden. Das reicht aber nach unserer Auffassung nicht aus. Gerade ein Hilfe suchender Patient ist besonders verletzlich. Hinzu kommt das Zusammenspiel von Zeitdruck und unzureichender Information. Dem müsste daher deutlich entschiedener Rechnung getragen werden", so Pfeiffer.

Ruf nach Einwilligungssperrfrist

Ein Instrument zur Regulierung schwebt ihr bereits vor: "Dies könnte durch eine Einwilligungssperrfrist erreicht werden, und zwar in allen Fällen, in denen der Arzt wegen einer Kassenleistung aufgesucht wird.

Eine solche Sperrfrist würde dem Patienten Zeit verschaffen, weitere Informationen zur IGeL-Angeboten einzuholen und in Ruhe zu Hause ohne Druck eine Entscheidung für oder gegen eine IGeL treffen zu können."

Die KBV versucht, Wind aus den Segeln der IGeL-Kritik zu nehmen. "Das Thema sollte nicht zu negativ betrachtet werden. IGeL sind nicht per se schlecht. Patient und Arzt müssen sinnvoll mit den IGeL umgehen", sagte der Pressesprecher der KBV, Dr. Roland Stahl.

Hilfreich sei hier der gemeinsame IGeL-Ratgeber von KBV und BÄK.

BÄK übt weiter methodische Kritik

Für BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery krankt der IGeL-Monitor auch nach einem Jahr noch an Intransparenz: "Wünschenswert wäre es, wenn mehr Transparenz in Bezug auf die eigentliche Bewertung und das Team bestünde: Welche externen Experten haben den Redakteur unterstützt? Wer war an der Recherche und Bewertung beteiligt?"

Problematisch sei aus Sicht der BÄK auch die Bewertungs-Kategorie "unklar". Zum einen sei eine unklare Studienlage gemeint, die keine eindeutige Aussage zu Nutzen und Schaden einer IGeL erlaubt, zum anderen beziehe sich diese Kategorie auf das Nutzen-Schaden-Verhältnis.

"Es werden also zwei Sachverhalte mit dieser Bewertung beschrieben, die nicht miteinander zu vergleichen sind. Dies ist zumindest wissenschaftlich sehr fragwürdig", so Montgomery.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Mär vom mündigen Bürger

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