Symptomcheck im Web

Cyber-Doc liegt meist daneben

Ein Forscherteam aus Harvard hat Diagnostik-Tools im Internet - sogenannte Symptom-Checker - auf Herz und Nieren geprüft. Das Ergebnis lässt zu wünschen übrig.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Skepsis nötig: In zwei Drittel der Fälle, die kein Handeln erfordert hätten, schickte der Netz-Doktor Ratsuchende zum Arzt.

Skepsis nötig: In zwei Drittel der Fälle, die kein Handeln erfordert hätten, schickte der Netz-Doktor Ratsuchende zum Arzt.

© Tinatin / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Bei neu aufgetretenen Beschwerden jedweder Art ist heute oft nicht der Arzt der erste Ansprechpartner, sondern das Internet. Auf dem Weg zur virtuellen Selbstdiagnose tippen viele ihre Symptome erst mal bei Google, Bing oder Yahoo ein.

 Zunehmend werden aber auch spezialisierte Diagnostikseiten genutzt, in Deutschland zum Beispiel NetDoktor oder Onmeda, im angelsächsischen Sprachraum DocResponse, WebMD, Healthwise, iTriage, Isabel und viele mehr.

Um herauszufinden, wie zuverlässig solche "Symptom-Checker" die richtige Diagnose ausspucken und inwieweit sie den Patienten dann auch korrekt weiterleiten, haben Wissenschaftler der Harvard Medical School in Boston 23 verschiedene Anbieter aus den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Polen mit Scheinanfragen konfrontiert.

45 fingierte Fälle wurden den virtuellen "Doktoren" präsentiert. Dabei handelte es sich in 26 Fällen um häufige, in 19 um seltene Krankheitsbilder. Zur Auswertung gelangten 770 per Internet gestellte Diagnosen und 532 Empfehlungen zum weiteren Vorgehen.

Manche fragen nichtmal nach Alter und Geschlecht

Für die Autoren um Hannah L. Semigran ist das Ergebnis ernüchternd: Nur in 34 Prozent aller Konsultationen stand die korrekte Diagnose an erster Stelle einer Liste von möglichen Diagnosen. Somit lagen die Symptom-Checker in zwei Drittel aller Fälle daneben. In 51 Prozent war zumindest eines der ersten drei Ergebnisse ein Treffer, in 58 Prozent eines der ersten 20 (BMJ 2015; 351: h3480).

Wie Semigran und Kollegen berichten, fragten zehn Anbieter nicht einmal nach Alter und Geschlecht des Patienten. Überraschenderweise hatte dies keinerlei Auswirkung auf das Ergebnis.

Insgesamt taten sich die Netz-Ärzte bei häufigen Krankheitsbildern leichter; hier lag die Erfolgsrate (richtige Diagnose an erster Stelle) bei 38 Prozent, bei selteneren Erkrankungen dagegen bei 28 Prozent.

Die Qualität der verschiedenen Internet-Anbieter schwankt nach Angaben der Wissenschaftler erheblich: Während bei DocResponse in durchschnittlich 50 Prozent der Anfragen die richtige Diagnose ganz oben stand, war dies bei der schwächsten Web-Site (MEDoctor) nur in 5 Prozent der Fall.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Treffer unter den ersten 20 genannten Diagnosen fand, lag zwischen 34 Prozent und 84 Prozent. Einen angemessenen Rat dazu, wie sich der Patient verhalten soll (Selbsttherapie, zum Arzt gehen oder eine Notaufnahme aufsuchen), gaben die Systeme in 57 Prozent der Fälle.

Dabei wurden vor allem Notfälle korrekt weitergeleitet (80 Prozent), dagegen nur 55 Prozent der nicht notfallmäßig zu behandelnden Patienten und nur 33 Prozent derjenigen, die keine ärztliche Therapie benötigten. Die Anbieter iTriage, Symcat (beide USA), Symptomate (Polen) und Isabel (Großbritannien) rieten grundsätzlich in allen Fällen dazu, zum Arzt zu gehen. Schloss man diese vier aus, blieb eine Rate richtiger Empfehlungen von 61 Prozent.

Wird Internet-generierte Cyberchondrie gefördert?

Für die Forscher aufschlussreich: Systeme, die auf Triage-Protokollen wie die nach Schmitt oder Thompson beruhen, lagen mit ihren Empfehlungen öfter richtig als diejenigen, die keine solche Basis hatten (72 Prozent gegenüber 55 Prozent). Solche Protokolle dienen auch medizinischen Telefon-Hotlines als Leitfaden.

Bei echten Ärzten geht man laut Semigran und Kollegen von einer Rate korrekter Diagnosen zwischen 85 und 90 Prozent aus. Dieser Vergleich ist aber nicht ganz fair, schließlich geht es den meisten Nutzern zunächst nur darum, sich auf die Schnelle über ihr Krankheitsbild zu informieren.

Die Schlüsselfrage zur Bewertung sei die nach der Entscheidungshilfe: "Zunächst ist es ja unerheblich, ob der Patient Fleckfieber oder eine Meningitis hat, wichtig ist nur, dass er bei entsprechenden Symptomen die Notaufnahme aufsucht", schreiben Semigran et al. Zumindest im Vergleich mit Google & Co. sei der Symptom-Checker wahrscheinlich die bessere Wahl.

Was der virtuelle Arzt nicht leisten kann, ist, seine echten Kollegen in der Praxis zu entlasten. Im Gegenteil: In zwei Drittel aller Fälle, die eigentlich kein Handeln erfordert hätten, schickte der Netz-Doktor die Patienten zum Arzt.

Es ist naheliegend, dass auf diese Weise Hypochondrie und das erst durch das Internet generierte Krankheitsbild der "Cyberchondrie" geschürt werden. Angesichts der vielen Fehldiagnosen, die sich die Cyberdocs leisten, ist in jedem Fall ein gesundes Maß an Skepsis angezeigt.

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