Glücksspiel

Statt Prävention Abwanderung in die Illegalität?

Von Juli an gelten noch schärfere Regeln für legale Spielhallen. Schwarz betriebene Casinos und das illegale Internet-Glücksspiel boomen derweil weiter. Branchenexperten sehen den gesetzlichen Präventionsgedanken als gescheitert an.

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Spielvergnügen birgt großes Suchtpotenzial. Der Staat setzt daher auf Prävention und will die legalen Angebote drastisch reduzieren.

Spielvergnügen birgt großes Suchtpotenzial. Der Staat setzt daher auf Prävention und will die legalen Angebote drastisch reduzieren.

© Markus Scholz/dpa

BERLIN. Die Glückspielregulierung ist seit Jahren in sich nicht schlüssig. Alles dreht sich um Suchtprävention. Auch staatliche Betreiber und Lottogesellschaften, die Vertrauen genießen und über starke Marken wie "6 aus 49" verfügen, können so kaum expandieren. Glücksspiel aber gelte als Freizeit-Massenprodukt, für das aus Sicht der Automatenbranche der Verbraucherschutz im Vordergrund stehen sollte.

Die Auflagen für Hersteller und Betreiber von Glücksspiel-Automaten in legalen Spielhallen und in Gaststätten werden weiter verschärft. Im Juli droht ihnen neues Ungemach: Dann greifen die Mindestabstandsregeln von 300 Metern zwischen staatlich kontrollierten Spielhallen. Etliche Schließungen dürften die Folge sein – aber auch das Abwandern von Spielern in unkontrollierte und schwarz betriebene Casinobuden sowie ins illegale Online-Spiel.

Online-Markt kaum kontrollierbar

Das wird auch den Ministerpräsidenten der Länder bewusst sein. In übertriebenen Jubel brachen sie jedenfalls nicht aus, als sie sich Ende Oktober nach langer Hängepartie auf neue Regeln für Sportwetten-Lizenzen einigten. Die erfolglose Beschränkung auf 20 Konzessionen für private Anbieter wurde aufgehoben. Was eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner war. Die Länder konnten so ihr staatliches Lottomonopol wohl noch einmal für zwei bis drei weitere Jahre retten. Das Grundproblem aber bleibt.

Denn das boomende Internet-Glücksspiel wird weiter nicht legalisiert und damit auch nicht reguliert. Auch staatlichen Lottogesellschaften bricht so der Markt weg – was Ausschüttungen für Sport, Kultur und Kommunen schmälert. Man wolle stärker gegen illegale Online-Angebote vorgehen, sagten die Ministerpräsidenten unverbindlich zu. Wohlwissend um die Konsequenzen dieser Vogel-Strauß-Politik: Noch mehr Menschen werden über illegale Online-Anbieter zocken, der Staat verliert Milliarden, Geldwäsche grassiert. Legale Betreiber von Glücksspielen dagegen werden härter an die Kandare genommen.

"Der deutsche Glücks- und Gewinnspielmarkt ist geprägt von Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Anbietern ... sowie von Defiziten im Verbraucher-, Daten- und Jugendschutz", kritisieren die Professoren und Branchenkenner Franz Peren und Reiner Clement. Der Umsatz im regulierten Markt stagniere, unreguliertes Online-Glücksspiel dagegen verzeichne einen Aufschwung: Die Ziele der Glücksspielregulierung würden "nur mangelhaft erreicht".

Ähnlich das ifo-Institut im Auftrag der Branche: Ganz offensichtlich werde durch den Glückspielstaatsvertrag der Länder von 2012 "der nicht regulierte Glücks- und Gewinnspielmarkt befördert und damit das Gegenteil einer Kanalisierung des Spieltriebs erreicht". Wenn zum 1. Juli 2017 die Beschränkungen für Spielhallen Kraft träten und damit dieses Angebot auf weniger als die Hälfte schrumpfe, sei der Widerspruch kaum mehr zu kaschieren, monieren die ifo-Experten.

Auf 13,8 Milliarden Euro im Jahr 2014 bezifferten Peren und Clement den Glücks- und Gewinnspielmarkt in Deutschland – etwa fünf Prozent der Wirtschaftsleistung. Von den Bruttospielerträgen seien auf den regulierten Bereich knapp 10,6 Milliarden entfallen – auf Klassen- und Fernsehlotterien, Gewinnsparen, Pferdewetten, Spielbanken und gewerbliche Geldspielgeräte. Das Volumen des "Grau-Marktes" wie Sportwetten, Online-Casino und -Poker wurde auf 1,71 Milliarden geschätzt – allerdings mit stark steigender Tendenz. Das "Schwarzmarkt"-Volumen könnte etwa 1,4 Milliarden Euro betragen.

Vom regulierten Bruttospielertrag – das ist die Summe, die nach Gewinnausschüttungen in den Kassen verbleibt – entfällt mit knapp sechs Milliarden etwa die Hälfte auf gewerbliches Geldspiel. Ende 2015 waren in Spielhallen und Gaststätten nach ifo-Schätzungen 267.000 Geld-Gewinn-Geräte aufgestellt. Zuletzt wurden im Oktober 2014 die Auflagen verschärft: Die Zahl zulässiger Spielgeräte in Gaststätten wurde reduziert, Verlust und Gewinn wurden begrenzt. "Café-Casinos" ohne Lizenz aber nutzten oft mehrere Räume, um so die Geräte-Begrenzung zu umgehen, beklagen legale Betreiber.

Macht jede zweite Spielhalle dicht?

In der Branche wird damit gerechnet, dass von den etwa 9500 legalen Spielhallen die Hälfte dicht macht. Die Zahl der Beschäftigten werde sich auf bis zu 35.000 halbieren. Es wird eine Klageflut derer erwartet, die ihre Konzession verlieren. Ordnungsämter dürften überfordert sein, Kommunen Schadenersatzklagen fürchten. Die Annahme, dass Zocker Geld-Spiele zum 1. Juli einstellen, ist laut ifo unrealistisch: Sie werden in den "überproportional expandierenden Graubereich" abwandern, sofern sie nicht ins Online-Glücksspiel ausweichen.

Die Löwen-Gruppe, die mit Admiral-Spielhallen am Markt ist, verweist auf eigene Umfragen, wonach die Mehrheit davon ausgehe, dass Spieler "immer einen Weg finden, um zu spielen". Spieler selbst hätten angegeben, dass sie bei Schließung der "Stamm-Halle" anderswohin wechseln würden. Knapp ein Drittel würde auf Internet-Spiele ausweichen. "Die Leute wollen aber nicht illegal spielen. Viele wissen das auch gar nicht", sagt Löwen-Manager Daniel Henzgen. (dpa)

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