Masterplan Medizinstudium 2020

Junge Allgemeinärzte müssen sich gegenseitig stärken

"Ich finde, das Fach Allgemeinmedizin muss aus sich heraus begeistern", sagt der Heidelberger Professor Joachim Szecsenyi. Die "Ärzte Zeitung" sprach mit ihm über seine eigene Weiterbildungszeit, warum junge Ärzte von heute es einfacher haben - und was er über den Masterplan Medizinstudium 2020 denkt.

Von Anne Zegelman Veröffentlicht:

Prof. Dr. Joachim Szecsenyi

Junge Allgemeinärzte müssen sich gegenseitig stärken

© Privat

Geboren 1953

Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen

Medizinstudium in Marburg, Göttingen und Sydney

1994 bis 2001 niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin

Seit 2001 Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Heidelberg

ÄrzteZeitung: Herr Professor Szecsenyi, wann haben Sie sich für die Allgemeinmedizin entschieden? Was war Ihr "Schlüsselmoment" im Studium?

Professor Joachim Szecsenyi: An der Uni in Göttingen gab es bereits 1984 eine kleine Abteilung für Allgemeinmedizin. Dort kam einmal die Woche ein sehr engagierter Allgemeinmediziner hin, Professor Eckart Sturm, und hat auch immer Patienten aus seiner Praxis mitgebracht. Wie enthusiastisch er von seiner Arbeit berichtet hat, hat mich beeindruckt.

Irgendwann hat mich ein Lehrbeauftragter angesprochen und mich zu einem Forschungsworkshop nach München eingeladen, bei dem Allgemeinmediziner aus ganz Europa über Forschung diskutiert haben. Da habe ich erkannt: Hey, da kann man ja auch Wissenschaft machen. Das hat bei mir den Ausschlag gegeben.

Wie haben Sie als junger Arzt Ihre eigene Weiterbildungszeit erlebt?

Ich habe an dieser Abteilung in Göttingen eine Rotationsweiterbildungsstelle bekommen, also wenn man so will, war das schon 1986 Verbundweiterbildung. Dort habe ich vier Tage Klinik gemacht, einen Tag Wissenschaft - und habe das später auch in der Weiterbildung in zwei Hausarztpraxen so beibehalten.

Das war genau meine Sache. Ich hatte das Glück, in einer Landpraxis einen Teil der Praxiszeit zu machen, bei einem ganz tollen Hausarzt, der mich sehr unterstützt hat.

Und die Zeit in der Klinik?

Die Rotationsstelle war natürlich ein großes Glück, aber es war auch nicht immer einfach, weil mir als Allgemeinmediziner in den Abteilungen im Uniklinikum ein gewisser Vorbehalt entgegenschlug. Ich musste mich schon rechtfertigen.

In der Klinik habe ich deutlich gespürt, dass zukünftige Hausärzte eine gewisse Sonderrolle hatten. Andere junge Mediziner haben mir damals erzählt, sie wollten auch Hausarzt werden, dürften das aber nicht sagen.

Was hätten Sie sich in dieser Situation gewünscht?

Eine Struktur wie in unserer heutigen Verbundweiterbildung Plus - und den Austausch mit anderen jungen Kolleginnen und Kollegen, die auch Hausarzt werden wollen und die sich auch dazu bekennen.

Bereits im Studium habe ich meinen Kommilitonen Ferdinand Gerlach kennengelernt, heute Professor für Allgemeinmedizin an der Uniklinik Frankfurt und Präsident der DEGAM - wir haben zusammen Nachtdienst auf einer Intensivstation in Göttingen gemacht.

Wir haben schon sehr früh entdeckt, dass die Allgemeinmedizin ein Fach mit sehr großem Potenzial ist, was die Forschung und Entwicklung angeht. Und wir haben uns gegenseitig bekräftigt und gepusht.

Ist es für die Medizinstudierenden von heute schwieriger oder leichter als früher, die Allgemeinmedizin zu wählen?

Heutzutage ist es zumindest leichter, sich niederzulassen - ich bin mit dem sogenannten "Seehofer-Bauch" groß geworden, da haben sich ganz viele noch schnell niedergelassen und man hat sogar über eine Ärzteschwemme geredet.

Damals war natürlich die Konkurrenzsituation viel größer, heute kann man sich aussuchen, wohin man geht. Außerdem sind die finanziellen Risiken - jedenfalls kann ich das von Baden-Württemberg sagen - überschaubar, da hier durch die hausarztzentrierte Versorgung eine sehr große Einkommenssicherheit vorhanden ist.

Die Verbundweiterbildung Plus hat sich seit ihrem Start 2009 auch die "nachhaltige Identitätsstiftung" auf die Fahnen geschrieben. Sind junge Allgemeinmediziner heute selbstbewusster, was ihre Fachwahl angeht?

Ich glaube, da hat sich schon etwas entwickelt. Medizinstudenten orientieren sich auch daran, wie gut über ein Fach geredet wird. Wenn die Kollegen jemanden haben, mit dem sie auf Augenhöhe über die Allgemeinmedizin reden können, bekommen sie dadurch eine andere Haltung.

Die Verbundweiterbildung Plus spielt dabei sicher eine Rolle, aber vor allem die stärkere Etablierung der Allgemeinmedizin an Universitäten, die Hausarztverträge - das sind alles Signale, die Identifikationsfläche bieten.

Die Anschubfinanzierung der Verbundweiterbildung Plus ist im Herbst 2015 ausgelaufen, seitdem finanzieren die teilnehmenden Krankenhäuser (1500 Euro) und Praxen (500 Euro) die jährlichen Kosten pro Person selbst. Sind die Teilnahmezahlen bisher davon beeinflusst worden?

Es hat schon einige Krankenhäuser und Praxen gegeben, die zögerlich darauf reagiert haben - das kann man schon ganz offen sagen. Wie sich das auf die tatsächliche Zahl auswirkt, wissen wir noch nicht, weil wir jetzt gerade die Rechnungen stellen. Wir machen allerdings viel Fortbildung, die die Krankenhäuser und Praxen ansonsten machen müssten. Ich finde es fair, diejenigen, die davon profitieren, an den Kosten zu beteiligen.

Die CDU hat das Thema ja sogar im Landeswahlkampf aufgegriffen …

… und das finde ich auch gut, muss ich sagen - denn dadurch kam es wieder ins Gespräch. Die Landesregierung, der wir im Übrigen sehr dankbar für die jahrelange Anschubfinanzierung sind, hat allerdings nie gesagt, dass sie das Programm ewig fördern wird.

Es war erst einmal darauf ausgerichtet, mittelfristig mehr Ärzte in den ländlichen Raum zu kriegen und überhaupt das ganze Thema, dass wir irgendwann mal einen Landarztmangel haben werden, gesundheitspolitisch hochzuziehen.

Zuletzt hieß es, möglicherweise gebe es ab Mitte 2016 oder 2017 eine Förderung im Rahmen des Versorgungsstärkungsgesetzes. Wie wird das weiter gehen?

Das wissen wir noch nicht. Wir sehen die seit Oktober gültige Kostenbeteiligung auch eher als Zwischenfinanzierung an. Wir hoffen, dass wir im nächsten Jahr über die Förderung der Kompetenzzentren einen anderen Finanzierungsweg finden, aber das ist noch offen.

Ihr Kollege Gerlach hat 2016 zum "Schicksalsjahr für die Allgemeinmedizin" erklärt, weil in diesem Jahr ein Referentenentwurf zum Masterplan Medizinstudium 2020 erwartet wird. Wie sinnvoll ist in Ihren Augen ein verpflichtendes Quartal im PJ?

Es wird keinem Medizinstudenten schaden, sich mit primärärztlicher Versorgung auseinanderzusetzen, auch wenn er später HNO-Arzt oder Kinderchirurg wird. Ich denke, dass es zu höherer Sichtbarkeit und Wertigkeit in den Augen der Medizinstudenten führen wird, wenn man sich für ein Pflichtquartal entscheidet. Bisher ist es leider so: Was nicht geprüft wird, existiert nicht.

Auch die Eingangskriterien fürs Medizinstudium sollen überdacht werden, eine Landarztquote wird heiß diskutiert. Ein sinnvolles Instrument?

Die Frage ist: Will man, dass ein junger Mensch sich schon ganz früh für diesen Weg entscheidet, um einen Medizinstudienplatz zu bekommen? Da habe ich doch Bedenken. Es könnte ja auch sein, dass sich Leute später frei kaufen, so wie das bei der Bundeswehr ist.

Ich finde, das Fach muss aus sich heraus begeistern, und man muss ihm auch die Chance dazu geben! Die Landarztquote wäre unfair den jungen Menschen gegenüber, die vielleicht alles tun würden, um einen Studienplatz zu bekommen.

Auch mehr Praxisnähe steht auf der Agenda. Wie viel mehr wäre sinnvoll?

Wir haben bereits eine Pflichtfamulatur von zwei Wochen in der Allgemeinpraxis, außerdem hat in Heidelberg jeder Student vom ersten Semester an Kontakt zu einer Hausarztpraxis. Aus meiner Sicht muss die Kontinuität gewahrt sein und das Studium muss immer wieder Berührungspunkte zur Allgemeinmedizin bieten. Vom Masterplan 2020 erwarte ich, dass das Curriculum kompetenzbasierter ausgerichtet wird.

Der Medizinische Fakultätentag fordert außerdem auch die Stärkung der Wissenschaftlichkeit im Studium .

Medizin muss wissenschaftlich sein. Ich fände es aber ein Problem, wenn es jetzt heißen würde, jeder Student macht noch fünf Extrakurse dazu. Wissenschaft muss Teil des Studiums sein.

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