"Es müsste sich grundsätzlich etwas ändern"

Junge Ärztin fordert mehr Zeit für Patienten und Forschung

Ein Arzt muss sich entscheiden können, ob er forscht oder Patienten versorgt, will Dr. Stephanie Könemann. Und Patienten sollen aus ökonomischen Druck nicht "abgearbeitet" werden müssen.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Kaum Zeit für die Forschung und den Patienten: Das kennen viele Ärzte. Dr. Stephanie Könemann will das nicht hinnehmen.

Kaum Zeit für die Forschung und den Patienten: Das kennen viele Ärzte. Dr. Stephanie Könemann will das nicht hinnehmen.

© Privat

Ärzte Zeitung: Frau Dr. Könemann, wie viel Zeit bleibt für die eigentliche Patientenversorgung und damit das fallbezogene Lernen?

Dr. Stephanie Könemann: Meiner Erfahrung nach bleibt tatsächlich immer weniger Zeit für den Patienten und vor allem das Patientengespräch. Hauptsächlich, weil die organisatorischen Aufgaben erweitert wurden und gleichzeitig die Verweildauer der Patienten in den Kliniken immer kürzer wird.

Längere Klinikaufenthalte sind über die DRG nicht mehr gedeckt. Und die Dokumentation muss umfangreich beziehungsweise lückenlos sein - nicht nur, um sich rechtlich abzusichern, sondern auch für die Abrechnung der Leistungen.

Die Patienten müssen in kürzerer Zeit zum Teil regelrecht "abgearbeitet" werden. Die zunehmende Ökonomisierung belastet Ärzte und Patienten. Das frustriert die Kollegen und lässt natürlich weniger Zeit, um den einzelnen Fall zu betrachten.

Wo müssen Kliniken und auch die Politik ansetzen, wenn sie junge Mediziner weiterhin für die Tätigkeit in der Versorgung begeistern wollen?

Könemann: Es müsste sich grundsätzlich etwas ändern. Mehr Zeit für den einzelnen Patienten und die individuelle Weiterbildung der Assistenten wären schön.

Bei einem Symposium für junge Ärzte in Hamburg hat sich zudem gezeigt, dass sich die Weiterbildungsassistenten mehr Anerkennung durch ihre Vorgesetzten wünschen.

Immer öfter ist aber auch das Vertrauen der Patienten nicht mehr da. Einige Patienten meinen, aus dem Internet genau zu wissen, welche Therapie für sie die richtige ist. Und diese fordern sie dann auch ein.

Viele Patienten haben durch die Berichte in den Medien zudem Angst, dass eine Therapie, zum Beispiel eine Op, nur aus ökonomischen Gründen vorgeschlagen wird. Für den Arzt bedeutet das, er muss mehr Zeit aufwenden, um das Vertrauen zurückzugewinnen, bevor die leitliniengerechte Therapie begonnen werden kann.

Die Musterweiterbildungsordnung befindet sich gerade in einem Überarbeitungsprozess. Wo sehen Sie konkreten Handlungsbedarf?

Könemann: In Hamburg wurde deutlich, dass die Standards der einzelnen Landesärztekammern sehr unterschiedlich sind. Und vieles auch - fallabhängig - individuell geregelt oder geprüft wird, etwa wenn es um die Anerkennung von Forschungszeiten oder Teilzeitphasen geht. Das ist für Weiterbildungsassistenten sehr unbefriedigend.

Es sollte eine gewisse Planungssicherheit für die jungen Ärzte über Landesgrenzen hinweg geben. Es kann nicht sein, dass man überlegt, kurzfristig in ein anderes Bundesland zu gehen, nur um Forschungszeiten an der Uniklinik anerkannt zu bekommen, ohne dass sich die Weiterbildungszeit verlängert.

Bei der Novellierung soll ja ein Konvergenzverfahren angewandt werden. Ich hoffe, dass die Landesärztekammern tatsächlich nur wenig von der Musterweiterbildungsordnung abweichen werden. Auch die vom Ärztetag empfohlene Abkehr von starren Weiterbildungszeiten zugunsten der Feststellung von Kompetenzen ist aus Sicht der Assistenten wünschenswert.

Junge Ärzte beklagen oft, dass ihnen kaum Zeit für die Forschung bleibt. Wo müsste man ansetzen, um hier mehr Freiraum bei nicht ausufernden Weiterbildungszeiten zu schaffen?

Könemann: In der Klinik müsste es eine Aufstockung der Stellen forschender Oberärzte geben. Eine Struktur, in der es Ärzte gibt, die hauptsächlich wissenschaftlich arbeiten, und solche, die hauptsächlich die Patientenversorgung übernehmen, wäre ein weiterer Lösungsansatz.

Selbst, wenn feste Rotationen in die wissenschaftlichen Bereiche geplant sind: Tritt ein Personal- beziehungsweise Ärztemangel auf, ist die Versuchung, den Weiterbildungsassistenten doch eher in der Patientenversorgung einzusetzen, groß.

Um Medizinern einen frühen Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere zu ermöglichen, bieten viele Unis inzwischen ein MD/PhD-Programm an. Neben ihrem Medizinstudium erhalten die Studenten dabei, mit einem meist überschaubaren Mehraufwand an Zeit, eine naturwissenschaftliche Zusatzausbildung. Aber auch hier gilt: Am Ende muss sich der Arzt für die Forschung oder die Patientenversorgung entscheiden.

Regierung und KBV versuchen, die ambulante Weiterbildung weiter zu stärken. Was muss sie bieten, damit sie attraktiv für junge Ärzte ist?

Könemann: Die ab 1. Juli geltende Gleichstellung der Assistenzärzte in Klinik und Praxis beim Gehalt und die Schaffung von Standards, um die Qualität in der ambulanten Weiterbildung zu erhöhen, ist sicher ein guter Anfang. Die Weiterbildungsassistenten brauchen aber auch langfristig eine Perspektive.

Das Betreiben einer Landarztpraxis muss wieder attraktiv werden: Das heißt auch, dass das Gespräch mit dem Patienten besser vergütet werden sollte.

Ich persönlich bin nur in der Klinik tätig gewesen. Aber die Kollegen, die bei meiner Hausärztin die Weiterbildung absolviert haben, waren immer sehr zufrieden.

Glauben Sie, dass insbesondere die Vertreter der Bundesärztekammer bei dem von Ihnen angesprochenen Symposium verstanden haben, worum es der jungen Ärztegeneration geht?

Könemann: Beim Thema Arbeitsverdichtung und zunehmender ökonomischer Druck hatte ich den Eindruck, dass die Bundesärztekammer auf dem richtigen Weg ist. Die geforderte Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird sich wohl aus der Not heraus regeln.

Wenn weniger Ärzte zur Verfügung stehen, müssen die Kliniken und Kammern flexible Lösungen schaffen. Beim Thema Forschung wird es aus meiner Sicht hingegen noch lange dauern, bis sich etwas tut.

Hier sind aber auch die Vorgesetzten gefragt. Ich habe Glück mit meinem Chef, er hat mich immer gefördert. Die Frage ist ohnehin eher für Unikliniken relevant, die aber ebenfalls zunehmend unter ökonomischen Druck geraten. Hier stellt sich die Frage, ob Unikliniken Gewinne erwirtschaften müssen.

Es muss also auch politisch gewollt sein, dass Ärzte forschen - und trotzdem die Möglichkeit haben, in der Klinik Karriere zu machen.

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