Ärztinnen gesucht

"Frauen in die Politik!"

Frauen sind in den ärztlichen Gremien unterrepräsentiert. Doch um das zu ändern, fehlt es in den Kammern und KVen an weiblichem Nachwuchs.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Nachwuchs gesucht: Ärztinnen fehlen in vielen Gremien.

Nachwuchs gesucht: Ärztinnen fehlen in vielen Gremien.

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BERLIN. Auf seiner letzten Hauptversammlung Ende Mai ist der Marburger Bund (MB) einen bemerkenswerten Schritt gegangen: Er hat die Frauenquote für den Vorstand eingeführt, nach "lebhafter Debatte", heißt es in der Pressemeldung. Dem auf insgesamt neun Mitglieder erweiterten Bundesvorstand müssen nun mindestens drei Frauen und drei Männer angehören, teilt der MB mit.

Unter anderem der MB-Landesverband Hamburg hatte den Schritt gefordert. "Auch wir wollen einen Raum schaffen für echte Gleichberechtigung", argumentiert der Verband. "Jede Ärztin und jeder Arzt soll sein Talent in die Arbeit des Marburger Bundes einbringen können.

Darum sind wir in Hamburg für ein klares Bekenntnis für den Antrag von Vorstand und Beirat auf Einführung einer zwingenden Frauenquote." Da freiwillige Selbstverpflichtungen meistens erfolglos geblieben seien und das Grundgesetz die Gleichberechtigung vorschreibe, habe man sich zu diesem Schritt entschlossen. Zudem entspreche die Geschlechterverteilung in ärztlichen Gremien nicht der Verteilung unter den Mitgliedern, so der Landesverband. Damit zitiert der Verband das klassische Argument der Gender-Gerechtigkeit.

"Eine Quote ist richtig!"

Dr. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, findet eine Quote richtig. Dennoch sagt sie: "Es ist für mich immer noch nahezu unglaublich, dass ich zu einer Quotenbefürworterin geworden bin." So lange aber die Männer-und-Frauen-Verteilung in den Gremien so eklatant von der Mitgliederstruktur abweiche, "müssen wir die Übergangszeit mit einer Quote gestalten."

In der Tat sitzen im achtköpfigen Bundesvorstand des MB inklusive kooptierten Mitglieds derzeit nur zwei Frauen und im 14-köpfigen Beirat nur vier Frauen. Deutschlandweit arbeiten vier Kammerpräsidentinnen - aber 13 Kammerpräsidenten.

Die Vorsitzenden der regionalen Kammern und KVen sind meist Männer. In der Vertreterversammlung der KV Niedersachsen etwa arbeiten nur fünf Frauen in dem 50-köpfigen Gremium mit, der Vorstand besteht aus zwei Männern. Auch unter den 60 Delegierten der Niedersächsischen Ärztekammer finden sich nur elf Frauen. "Die Ärztekammer Nordrhein weist einen Anteil von 19 Prozent Frauen in der Kammerversammlung bei 45,5 Prozent weiblichen Kammermitgliedern auf", schreibt der Ärztinnenbund. Und so weiter und so fort.

Gerecht ist das Ganze nicht: Laut Bundesärztekammer waren im Jahr 2015 bundesweit 46 Prozent der rund 370.000 Mediziner weiblich. Und ihr Anteil wird sich weiter erhöhen: Unter den Medizin-Erstsemestern waren 2015 im Schnitt 63 Prozent weiblich. In Berlin waren es sogar 73 Prozent. Mit anderen Worten: Frauen sind in der ärztlichen Berufspolitik extrem unterrepräsentiert.

Berufspolitik und Familie oft schwer

Allerdings spielt die Quote bei zwei Frauen, die den Sprung ganz nach oben geschafft haben, keine Rolle - bei Niedersachsens Ärztekammerpräsidentin Dr. Martina Wenker und Vizepräsidentin Dr. Marion Charlotte Renneberg. Die erste weibliche Doppelspitze im Land setzt auf Sacharbeit, wie die beiden Frauen sagen. "Ich würde mich nicht als Frauenpolitikerin bezeichnen", so Wenker. "Die ärztliche Standespolitik ist auch nicht der Ort, um Frauenpolitik zu machen. Wir wollen aber Ärztinnen dahin haben, wo Standespolitik gemacht wird." Tatsächlich habe sie daran mitgewirkt, den Ärztinnenausschuss in der Kammer abzuschaffen.

Allerdings müssten die Ärztinnen zunächst einmal da sein, um sich überhaupt engagieren zu können. "In den Kammern und KVen stehen die jungen Leute ja nicht gerade Schlange", sagt Bremens Kammerpräsidentin Dr. Heidrun Gitter. Auch die jungen Frauen nicht. "Vor allem der Nachwuchs, das heißt junge Ärztinnen fehlen. Sie sind in der nächsten Legislaturperiode von Kammern und Kassenärztlichen Vereinigungen nicht am Start", so der Ärztinnenbund in einer Pressemitteilung. Da helfe auch die beste Quote nicht.

Unisono fordern Renneberg, Wenker, Gitter und Groß deshalb bessere Arbeitsbedingungen für Frauen in der Selbstverwaltung, um mehr Ärztinnen für die Arbeit zu interessieren. "Es ist oft schwer, neben der Familie noch Zeit für die Berufspolitik zu finden", sagt Renneberg.

Und Wenker erklärt: "Wir müssen unsere Abläufe familienfreundlicher gestalten. Zum Beispiel könnten wir während der Sitzungen Kinderbetreuungen organisieren." Warum müssten die Sitzungen immer am Abend sein, an dem die Kinder ins Bett gebracht werden müssen? Warum muss Berufspolitik immer andauerndes Engagement bedeuten?"Junge Kolleginnen und Kollegen wollen häufig nicht jahrelang in Arbeitsausschüssen sitzen, sondern lieber ein befristetes Projekt bearbeiten."

Der Ärztinnenbund fordert, dass "Geld für die Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen zur Verfügung gestellt wird und dass Sitzungen zeitlich straff geführt und akzeptable Sitzungsgelder gezahlt werden." Damit junge Kolleginnen eine reelle Chance haben, nachzurücken." Gitter mahnt zudem, dass die Gesprächskultur in der Selbstverwaltung einladend sein solle. "Man sollte bei Neuen auch nicht danach urteilen, von welchem Verband der kommt, sondern fragen: Was kann ich tun, damit der Nachwuchs gerne mitmacht?" Ähnlich wie Wenker sieht Gitter das Glas der weiblichen Berufspolitik "eher halb voll als halb leer." Im Übrigen werde sich die große Zahl der Ärztinnen früher oder später auch in den Gremien der Selbstverwaltung abbilden.

Zwei Gründe für die Misere

Darauf will Solveig Mosthaf, Freiburger Medizinstudentin im 8. Fachsemester und Mitglied in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), nicht warten müssen. Auch wenn sie sagt: "Die Frauen kommen", sieht sie im Wesentlichen zwei Gründe für die Misere. Erstens gebe es zu wenig Information. Das Studium biete zwar eine einsemestrige Vorlesung plus einer Klausurüber Gesundheitspolitik.

 "Aber trotzdem wissen die Wenigsten im Studium etwas über die Selbstverwaltung." Zweitens müssten Frauen immer noch mehr kämpfen als Männer, um in der Berufspolitik Fuß zu fassen. "Frauen werden immer noch vor allem in der Mutterrolle gesehen",, sagt Mosthaf.

Sie sieht die immer noch vorhandene Ungleichbehandlung von Männern und Frauen als Hindernis und zugleich Motivationder ärztlichen Berufspolitik: So lange Ärztinnen schlechter bezahlt würden als ihre männlichen Kollegen, Wickeltische nur in den Frauentoiletten stünden und junge Ärztinnen in der Klinik darauf angesprochen würden, in den nächsten Jahren bloß nicht schwanger werden zu wollen, "so lange sind wir nicht gleichberechtigt. Damit sich das ändert, müssen Frauen in die Berufspolitik."

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