Steuern auf Sicht

Warum Behörden oft überfordert sind

Medizinstudent Hekim Colpan kennt zwei Seiten der Flüchtlingsversorgung. Als angehender Arzt spricht er mit vielen erfahrenen Kollegen – und als ehemaliger Verwaltungsfachangestellter weiß er, dass Behörden bei der Frage, welche Behandlungen übernommen werden, oft überfordert sind.

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Ärzte sind häufig von den zahlreichen Vorschriften überfordert - doch auch Behörden kennen oft nicht alle Paragraphen.

Ärzte sind häufig von den zahlreichen Vorschriften überfordert - doch auch Behörden kennen oft nicht alle Paragraphen.

© Gina Sanders / Fotolia.com

Viele von Ihnen kennen das Problem, in Konflikt mit dem Gesetz zu stehen. Nein, ich meine nicht die privaten Angelegenheiten. Ich rede von den Dienstlichen.

Die Frage, ob eine Behandlung von geflüchteten Menschen durch die Sozialgesetzbücher / das AsylbLG abgedeckt ist, hat schon viele Praxen und Kliniken beschäftigt. Wie viel gehört denn nun zur Grundversorgung von geflüchteten Menschen? Eigentlich sollte das kein Problem sein, denn die Regulierung über den Umfang der Versorgung ist doch in den Sozialgesetzbüchern klar geregelt. Sollte man zumindest meinen.

In der Realität stellen Diagnosen Sie aber oft genug vor die Frage, ob die Behandlung von den Sozialämtern getragen wird. Doch was passiert am Schreibtisch der Sachbearbeiter, wenn es den nächsten Anruf aus Ihrer Praxis gibt? Für viele aus der Verwaltung sind medizinische Begriffe ja unbekanntes Terrain. Der aktuelle Flüchtlingsstrom hat eben nicht nur Ärzte, sondern auch die Ämter vor große Herausforderungen gestellt.

Hekim Colpan ist 28 Jahre alt und studiert Medizin in Hannover. Nach einer Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten arbeitete er zunächst fünf Jahre im Bereich soziale Sicherung mit Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten. Sein Abitur holte er nebenbei an einem Abendgymnasium nach. Er ist nun im dritten Studienjahr.

Maßgebliche Entscheidungen

In meiner Zeit als Verwaltungsfachangestellter waren mein Team und ich oft Ansprechpartner der örtlichen Praxen in Fragen der Kostenübernahme durch den Landkreis. Unsere Entscheidungen waren maßgeblich, auch wenn wir uns nicht immer ganz sicher waren. Wie konnten wir denn auch? Immerhin sind im Sozialgesetzbuch / AsylbLG keine genauen Bezeichnungen für abgedeckte Erkrankungen angegeben.

Nein, wir handelten aus Intuition heraus, das Gesetz immer im Blick. Ermessen und Intuition halfen uns dabei, die richtige Entscheidung im Einzelfall zu treffen. Einige waren nämlich dreimal die Woche in der Praxis, andere nur einmal im Monat. Dabei spielten auch persönliche Faktoren eine große Rolle. Die Annahme, dass die Anträge auf Asyl eher angenommen werden würden, wenn ein Familienmitglied krank ist, war nicht so abwegig, wie es klingen mag.

Eine Lösung gibt es immer

Wir verständigten uns im Einvernehmen mit der Praxis auf Behandlung oder eben Abwarten, also genau das, was ich im Medizinstudium nun lerne. Im Nachhinein keine schlechte Herangehensweise, denn die überstrapazierten und überbelasteten Ärzte – vor allem auf dem Land – brauchen ab und an die Ermessensentscheidungen der Verwaltung. Eine Lösung gab es immer, gute Zusammenarbeit zwischen Praxen und Behörden sei Dank.

Man darf jedoch bei all dem Verständnis nicht vergessen, dass wir zu Ärzten ausgebildet werden, die Entscheidungen treffen müssen. Dazu gehört es, die notwendigen von den nicht notwendigen Behandlungen zu trennen und somit über die Grundbedürfnisse eines Menschen zu urteilen.

Fördern wir damit eine Zwei-Klassen-Medizin? Mag sein, doch was gesetzlich vorgegeben ist, liegt nicht in unserer Hand. Umso wichtiger sind der Austausch mit und die Kritik an der Politik, um die Vorgaben zu verändern. Die nahezu überall gescheiterte Gesundheitskarte lehrt uns, für Dinge, die es unseren Patienten und uns einfacher machen könnten, stärker einzustehen.

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