Arbeiten wie im Cockpit: Checklisten haben sich auch in der Chirurgie bewährt

Patientensicherheit ist bei Operationen oberstes Gebot. Chirurgen arbeiten laufend an einer Optimierung, wie eine Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zeigte.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:

"Wir geben auch dem Patienten die Möglichkeit, vor der Op Fragen zu stellen." Professor Claus-Dieter Heidecke, Chefarzt aus Greifswald.

Fehlerquellen gibt es in der Chirurgie viele. Es kann die falsche Seite operiert werden oder das falsche Körperteil, es kann der falsche Eingriff sein oder der falsche Patient.

Zwar ist die Wahrscheinlichkeit für solche Fehler gering, doch die 18. Jahrestagung der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung und Patientensicherheit (CAQS) in Hamburg machte deutlich, dass sich die Berufsgruppe laufend Gedanken über eine weitere Fehlerminimierung macht.

Zum Teil werden diese Bemühungen auch durch externen Druck begleitet. Denn die Haftpflichtversicherungen spielen eine nicht unbedeutende Rolle bei der Einführung von mehr Sicherheit.

Auch der Patient hilft bei der Kontrolle

Ein Beispiel sind Checklisten vor der Operation, wie sie die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie empfiehlt und wie sie bei vielen großen Klinikträgern inzwischen zum Standard gehören.

Nach Angaben von Chefarzt Professor Claus-Dieter Heidecke aus Greifswald wird der Druck der Versicherungen dazu führen, dass früher oder später alle Kliniken mit den Operations-Checklisten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeiten.

Die WHO hatte im Sommer 2008 erstmals eine 19 Punkte umfassende Sicherheits-Checkliste vorgestellt, bei der wie vor dem Start eines Flugzeuges überprüft wird, was den Patienten gefährden könnte, und zwar vor der Narkose, vor dem ersten Schnitt und vor Verlassen des Operationssaals.

Nach bisherigen Erfahrungen hilft die Checkliste, Komplikationen zu vermeiden. In Greifswald hat man die WHO-Liste inzwischen um eine präoperative Säule ergänzt. Darin bestätigt der Operateur unter anderem, dass er den Patienten gesehen und über den Eingriff aufgeklärt hat. Bei dieser Gelegenheit zeichnet er auch die korrekten Schnittlinien auf den Körper. "Damit vermeiden wir Seitenverwechslungen und geben dem Patienten die Möglichkeit, dazu nochmals Fragen zu stellen", erläuterte Heidecke.

Zur Vorbereitung gehört auch, dass der Operateur Angehörigen vor dem Eingriff anbietet, sie danach persönlich anzurufen, um sie über Befund und Verlauf des Eingriffs zu informieren.

In Greifswald arbeiten die Operateure seit einem Jahr mit der erweiterten Checkliste und haben seitdem über 900 Listen ausgewertet - grobe Verletzungen oder Verwechslungen kamen in diesen Fällen nicht vor. Das Fazit dazu fällt in Greifswald rundum positiv aus, weil außerdem die Teambildung und die Kommunikation zwischen Operateur, Team und Patienten verbessert und mögliche hierarchisch bedingte Hindernisse überwunden werden.

Doch nicht jede Kommunikation dient der Patientensicherheit. Als Beispiel nennen die Chirurgen das in den USA derzeit erprobte Twittern während einer Operation. Damit informieren Krankenhäuser wartende Angehörige über den Verlauf einer OP. DGCH-Generalsekretär Professor Hartwig Bauer warnte ausdrücklich vor diesem Trend. Denn das OP-Team soll sich während des Eingriffs ausschließlich auf den Patienten konzentrieren.

Twittern aus dem OP - eine Modetorheit aus den USA

Hinzu kommt, dass die Beteiligten so wenig wie möglich reden sollen - um das Infektionsrisiko zu senken, aber auch, um sich nicht gegenseitig abzulenken. Für das Twittern dagegen müsste der Chirurg ständig kurze Kommentare abgeben, damit die Angehörigen informiert werden können.

Noch etwas spricht gegen den Trend: bei Komplikationen würden sowohl ein plötzlicher Stopp des Informationsflusses als auch eine entsprechende Mitteilung die Angehörigen beunruhigen. Bauer glaubt auch gar nicht, dass Angehörige wirklich über jedes Detail eines Eingriffs unterrichtet werden wollen: "Ich bezweifle, dass Kommentare wie ,der Tumor sitzt auf dem Harnleiter auf' für Außenstehende hilfreich sind."

Weitere Aspekte der Patientensicherheit, die in Hamburg diskutiert wurden:

  • Zentrenbildung: Den Patienten sehen sich heute einer Flut von Zentren gegenüber, deren Qualität sie nicht einschätzen können. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie fordert deshalb ein Qualitätssiegel "Zertifiziertes Zentrum", auf das Patienten sich verlassen können - und das Zentrum zwingt, eine Mindestqualität vorzuhalten.
  • Arbeitsdruck: Die Arbeitsverdichtung in den Kliniken führt zu einer stärkeren Belastung des Personals. Zwar wollen Ärzte nach Ansicht des Vizepräsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery keinen "Nine to Five-Job", brauchen aber geregelte Arbeitszeiten, um mit hoher Zufriedenheit und Motivation sichere Ergebnisse erzielen zu können. Er regte eine Evaluierung dieser These an.
  • OP-Kontrollen: Das OP-Team zieht vor festgelegten Zeitpunkten des Eingriffs einen ansonsten unbeteiligten Chirurgen aus dem Haus als externen Kontrolleur hinzu, um etwa den nächsten Schnitt absegnen zu lassen. Diese Methode gilt als einfach und effektiv und ist in Klinken mit mehreren Chirurgen ohne großen Aufwand umsetzbar.
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