Chirurgie

Weniger Komplikationen bei Ruhe im OP

Weniger Lärm im Operationssaal lässt Chirurgen konzentrierter arbeiten und senkt die Komplikationsrate. Das hat eine Studie an der Medizinischen Hochschule Hannover ergeben.

Veröffentlicht:

HANNOVER. In einer Studie wurde die Lautstärke im Operationssaal um die Hälfte verringert. Die Chirurgen fühlten sich in dem ruhigeren Arbeitsumfeld wohler und konnten konzentrierter arbeiten.

Darüber hinaus kam es bei den Patienten der Stichprobe zu deutlich weniger postoperativen Komplikationen.

Der Chirurg beugt sich über den Patienten und führt konzentriert das Skalpell, die Schwester reicht ihm wortlos die Instrumente, es ist so still im OP, dass man fast eine Stecknadel fallen hören könnte.

So wird in einer Mitteilung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) die Situation geschildert, wie medizinische Laien Operationen aus dem Fernsehen kennen.

Doch die Realität sei anders: In Operationssälen gehe es oft richtig laut zu. Kinderchirurgen der MHH untersuchten jetzt in einer Studie, welche Auswirkungen Lärm auf die Arbeitsfähigkeit von Operateuren hat und ob der Lärmpegel gesenkt werden kann (Annals of Surgery 2013; online 10. Oktober).

Laut wie ein zehn Meter entfernter Motor-Rasenmäher

Es gibt zahlreiche Lärmquellen in einem Operationssaal: Chirurgen, Anästhesisten, Op-Schwestern, Gastärzte und Medizinstudenten unterhalten sich, medizinische Geräte produzieren Geräusche, aus dem Radio kommt Musik, Pieper und Handys klingeln.

"Der durchschnittliche Lärmpegel im OP liegt bei 63 Dezibel", wird Dr. Carsten Engelmann, Oberarzt in der MHH-Klinik für Kinderchirurgie und Leiter der Studie, in der Mitteilung zitiert.

Das ist etwa so laut wie ein Motor-Rasenmäher in zehn Metern Entfernung. "Extrem wird es, wenn beispielsweise OP-Bestecke in eine Metallschüssel geworfen werden oder wenn ein Hocker umfällt. Dann kommt es zu kurzzeitigen Spitzen von bis zu 100 Dezibel", erläutert der Chirurg.

"Die Geräuschempfindlichkeit ist bei jedem Menschen anders. Aber grundsätzlich steigt mit dem Lärmpegel auch die Stressanfälligkeit", ergänzt Doktorand Jan Philipp Neis, der an der Erstellung der Studie beteiligt war.

Strikte Verhaltensregeln für das Personal

Ein halbes Jahr lang beschäftigten sich Engelmann und seine Kollegen intensiv mit dem Thema. Grundlage der Studie waren mehr als 150 operative Eingriffe bei Kindern und Jugendlichen, die länger als 20 Minuten dauerten. Professor Benno Ure, Direktor der Klinik für Kinderchirurgie, begleitete die Untersuchung als Senior-Autor.

"Zunächst ermittelten wir den Status Quo im Operationssaal. Dann schauten wir uns an, welche Ergebnisse ein systematisches Geräuschsenkungsprogramm bringt. Dieses Programm bestand einerseits aus technischen Maßnahmen, andererseits aus spezifischen, verbindlichen Verhaltensregeln für das Personal", erläutert Ure.

Große optische Geräusch-Warner wurden in den Blickachsen des Operationssaales aufgehängt, das OP-Telefon auf das optische Signal umgestellt und die Lautstärke medizinischer Geräten reduziert. Für das Personal galt: Privatunterhaltungen waren verboten.

Die Türen wurden geschlossen gehalten, Mobiltelefone waren im OP tabu und Gespräche wurden nur geführt, wenn sie etwas mit dem aktuellen Fall zu tun hatten.

Lärmpegel um 50 Prozent auf 60 Dezibel gesenkt

Durch das Geräuschsenkungsprogramm konnte der Lärmpegel um 50 Prozent auf 60 Dezibel (dB(A)) gesenkt werden. (Bei Dezibel handelt es sich um keine Einheit, sondern um eine logarithmische Verhältniszahl. Eine Veränderung um 3 Dezibel bedeutet eine Veränderung um die Hälfte der empfundenen Lautstärke.)

Neben verschiedenen anderen Werten wurden in der Studie auch die Aussagen der Chirurgen zu ihrem persönlichen Befinden berücksichtigt.

Diese sind eindeutig: In leiserer Umgebung sind die Chirurgen entspannter und können konzentrierter arbeiten.

Völlig überrascht hat die Untersucher, dass dies offenbar direkte Auswirkungen auf die Patienten hat: "Die Komplikationsrate hat sich um die Hälfte reduziert.

Es gab beispielsweise weniger Nachblutungen, Infektionen und Nahtinsuffizienzen", erklärt Engelmann. Den Patienten blieben dadurch lange Krankenhausaufenthalte erspart, Kosten für eventuell teure Folgebehandlungen konnten reduziert werden.

Auf dem diesjährigen europäischen Kinderchirurgenkongress in Leipzig bekam das MHH-Team von vielen Kollegen positive Rückmeldungen auf die Studienergebnisse.

"Offenbar stört der Lärm im OP viele Chirurgen, nur wird das leider zu selten ausgesprochen", bedauert Engelmann.

Neue Ideen für die Chirurgie der Zukunft

Chirurgen genießen in der Bevölkerung ein hohes Ansehen. Doch ihre Arbeitsbedingungen sind häufig ausgesprochen schlecht.

"Wir setzen uns immer bedingungslos für unsere Patienten ein und vernachlässigen dabei den Chirurgen. Schlechte Arbeitsbedingungen im OP, hoher Leistungsdruck und ethische Konflikte führen zu großen Belastungen und mehr Komplikationen", so Ure.

Einer Veröffentlichung zufolge leidet etwa jeder zweite Chirurg in Deutschland unter dem Burnout-Syndrom (Int J Qual Health Care 2010). "Es gibt viele Ursachen für unsere schlechte Arbeitssituation. Lärm ist nur eine davon", sagt Professor Ure.

Gemeinsam mit seinem Team sucht er nach Möglichkeiten, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und erhöht so gleichzeitig die Sicherheit der Patienten. Dabei stellt die Klinik auch das eigene Tun auf den Prüfstand.

Vor zwei Jahren veröffentlichten die Kinderchirurgen eine Studie über Pausen im OP - mit dem Ergebnis, dass kurze Auszeiten ebenfalls die Arbeitsfähigkeit der Operateure verbessern und das Fehlerrisiko senken.

Eine weitere kürzlich veröffentlichte Studie beschäftigte sich mit der Belastung von Chirurgen durch ethische Konflikte.

"Chirurgenfreundliche Chirurgie ist die Chirurgie der Zukunft", meint Ure. Sie bedeutet zufriedenere Operateure und gleichzeitig mehr Sicherheit für die Patienten.

Mehr zum Thema

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen