Transplantation

Eltern gegen Uniklinik - der Fall Eren

Das Uniklinikum Gießen-Marburg sieht sich heftigen Vorwürfen ausgesetzt, weil es einem Kleinkind eine Transplantation verweigert - aus medizinischen Gründen.

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Der Fall Muhammet Eren hält das UKGM derzeit in Atem.

Der Fall Muhammet Eren hält das UKGM derzeit in Atem.

© Arne Dedert / dpa

GIESSEN. Das Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM) bleibt bei seiner Einschätzung, dass der fast zweijährige Muhammet Eren nicht für ein Spenderorgan infrage kommt. Wegen des gestörten Vertrauensverhältnisses zu den Eltern wird geprüft, ob der Junge in ein anderes Krankenhaus verlegt werden kann.

Die türkischen Eltern des schwer herzkranken Kindes hatten gehofft, dass es am UKGM durch eine Herztransplantation gerettet werden kann, deren Finanzierung durch eine Spendenaktion in der Türkei gesichert worden war.

Einen Tag vor der Abreise aus Istanbul erlitt Muhammet einen Herzstillstand, durch den sein Hirn geschädigt wurde. Nach Darstellung des UKGM war die Herz-Kreislauf-Situation bei der Ankunft des Jungen in Gießen am 31. März weiterhin instabil.

Die behandelnden Ärzte hätten deshalb alle verfügbaren Notfallmaßnahmen ergriffen, um sein Leben zu retten. Letztlich habe es des Anschlusses an ein Kunstherz bedurft, um den Tod zu verhindern und eine Stabilisierung seiner prekären Lage zu ermöglichen.

Im weiteren Verlauf hätten neurologische Untersuchungen und bildgebende Verfahren gezeigt, dass das Kind eine nach ärztlichem Ermessen irreversible hypoxische Hirnschädigung erlitten habe.

Der Hirnschaden sei von internen und mehreren externen unabhängigen Experten beurteilt worden. Bei den umfänglichen Untersuchungen sei zusätzlich der Verdacht auf eine genetische Mitochondriopathie, offensichtlich geworden.

UKGM: Kontraindikationen

Drei Transplantationskonferenzen am UKGM seien zum Ergebnis gekommen, dass eine Kontraindikation für eine Transplantation vorliege, die den langfristigen Erfolg des Eingriffs gefährde.

Auch Professor Hermann Reichenspurner, der Vorsitzende der Organkommission Herz/Lunge und Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation, sei zu der Beurteilung gelangt, dass diese Kontraindikation gegeben sei.

Das UKGM will den Jungen nun nicht weiter behandeln, weil das Vertrauensverhältnis zu seinen Eltern inzwischen massiv beschädigt sei.

Es werde seit Mitte Juli für die Klinikmitarbeiter immer schwieriger, ihre Arbeit zu erledigen, da permanent Anrufe und E-Mails eingegangen und Besucher mit der Forderung erschienen seien, die Transplantation doch durchzuführen.

Klinikmitarbeiter würden verbal und körperlich bedrängt und bedroht. Das UKGM habe sich an die Polizei wenden müssen und werde im Ernstfall auch Strafanzeige stellen.

Geänderte Entscheidung?

In einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zum Fall Muhammet Eren werden Experten mit der Aussage zitiert, ein Hirnschaden sei kein unverrückbares Gegenargument gegen eine Organverpflanzung.

Dem UKGM wird zudem vorgeworfen, seine Begründung für die negative Entscheidung geändert zu haben und nunmehr nicht mehr mit dem Hirnschaden an sich, sondern mit den damit verbundenen allgemeinen Risiken zu argumentieren, also damit, dass das Risiko für Infektionen bei Muhammet stark erhöht sei und er außerdem wahrscheinlich an Mitochondriopathie leide.

Die Eltern meinen, dass sich das Kind am Tage der Untersuchung durch einen externen Neuropädiater in einem besonders schlechten Zustand befunden habe, weil am Vortag die Dosis eines wichtigen Medikaments um die Hälfte reduziert worden sei.

Dazu erklärt das UKGM, in einer Intensivstation werde die Medikation ständig verändert. Es sei immer nur zum Besten von Muhammet gehandelt worden.

Die Unterstellung, Arzneiveränderungen aus anderer Motivation vorgenommen zu haben, werde entschieden zurückgewiesen. In diesem Punkt erwäge das UKGM, Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung zu stellen.

Es verweist zudem darauf, dass alle großen Transplantationszentren in Deutschland sowie Zentren in Wien und Rotterdam angefragt worden seien.

Sie seien alle zum gleichen Ergebnis gekommen, dass sie bei dem Kind keine Organverpflanzung machen wollen. Aus einem Zentrum in der Schweiz, das ebenfalls angefragt worden sei, liege noch keine Antwort vor.

Laut "Süddeutscher Zeitung" sagten Politiker der Grünen und der Linken, die Transplantationsrichtlinien müssten erneut überprüft werden hinsichtlich eines diskriminierungsfreien Zugangs für behinderte Patienten. (pei)

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