Gutachter stellen fest

Teures Klinik-Sterben

Seit der Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2003 sind in Deutschland gerade einmal 74 Krankenhäuser geschlossen worden. Ein wichtiger Grund: Eine Klinik dicht zu machen, ist für die Träger oft zu teuer.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Betten im Krankenhaus: Ihr Abbau verläuft zäher als erwartet.

Betten im Krankenhaus: Ihr Abbau verläuft zäher als erwartet.

© Alex Tihonov / Fotolia.com

BERLIN. Der Krankenhausmarkt befindet sich in einer Strukturkrise. Zu dieser Einschätzung kommt ein Gutachten im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes.

Gründe seien vor allem die Krankenhausplanung und die hohen Kosten von zwischen 0,8 und 2,5 Jahresbudgets, die entstehen, wenn ein Standort schließe.

Dazu kämen die Eitelkeiten von Lokalpolitikern, die um ihre Wählerstimmen fürchteten, sollte in ihrem Sprengel ein öffentliches Krankenhaus dicht machen müssen.

Die freigemeinnützigen und privaten Kliniken dagegen wollten ihren Marktwert nicht gefährden, indem sie Image-Schäden in Folge von Klinikschließungen riskierten, heißt es in der Untersuchung von Preusker Health Care OY.

Bevor ein Krankenhaus tatsächlich vollständig vom Markt gehe, komme es daher oft zu für die Allgemeinheit sehr teuren Umstrukturierungs- und Rettungsversuchen, haben die Gutachter festgestellt.

Nur noch 1995 Krankenhäuser

Auch die Länder sind meist keine Hilfe. Obwohl alle Landeskrankenhausgesetze die "Erleichterung der Schließung von Krankenhäusern" vorsehen, konnten die Gutachter nur für fünf der seit 2003, dem Jahr des DRG-Starts, bis Ende 2012 geschlossenen Krankenhäuser eine Schließungsförderung recherchieren.

Die blieb in allen Fällen überschaubar in einem Korridor zwischen 400.000 Euro und drei Millionen Euro. Die hohen Marktaustrittsbarrieren hätten dazu geführt, dass die Anpassung der Kapazitäten unterbleibe, stellen die Gutachter fest.

Tatsächlich sieht die jüngste Ausgabe des Krankenhaus-Rating Reports des Rheinisch Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Accenture und dem Institute for Health Care Business ein Drittel der Krankenhäuser in den roten Zahlen und konstatiert eine dramatisch steigende Insolvenzgefahr für immer mehr Kliniken.

Die nun vorliegende Studie "Darstellung und Typologie der Marktaustritte von Krankenhäusern Deutschland 2003 - 2013" kommt für den Zeitraum bis Ende 2012 auf 74 vollständige Marktaustritte. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Krankenhäuser in dieser Zeitspanne um insgesamt 204 auf 2017 gesunken.

Die Differenz rührt daher, dass die Mehrheit der nicht mehr in der Statistik geführten Häuser im Zuge von Konzentrationsprozessen die Eigenständigkeit verloren hat. Im Jahr 2013 ist die Zahl der Krankenhäuser um weitere 22 auf 1995 gesunken.

Jede zweite geschlossene Klinik ist ein Allgemeinkrankenhaus

Die meisten der 74 geschlossenen Häuser hatten zwischen zehn und 200 Betten. Rund 40 Prozent waren privat geführt, je 30 Prozent öffentlich und freigemeinnützig. Drei Viertel lagen in verdichteten Siedlungsräumen, nur ein Viertel in dünn besiedelten, ländlichen Kreisen.

Knapp die Hälfte der betroffenen Kliniken waren Allgemeinkrankenhäuser, dicht gefolgt von Fachkliniken. Die kleinste Gruppe bildeten die Belegkrankenhäuser.

Die Autoren der Untersuchung sprechen sich für substantielle und rechtsverbindliche Marktaustrittshilfen für Krankenhausträger aus. Auch einem Umwandlungsfonds reden sie das Wort. Ein solcher Fonds war Gegenstand der Koalitionsverhandlungen, bis er in letzter Minute wieder rag gekippt wurde.

Aktuell berät eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe über Eckpunkte zu einem Krankenhausstrukturgesetz, die bis Ende des Jahres vorliegen sollen. Die Länder und auch Bundespolitiker wollen auf diesem Weg einen Milliarden Euro schweren Strukturfonds wieder auf die Agenda bringen.

Tatsächlich scheint es Bedarf für medizinische Nachnutzungen von Kliniken zu geben, die mit einem solchen Fonds gefördert werden könnten. In der Hälfte der früheren Krankenhäuser finden sich heute niedergelassene Ärzte, Einrichtungen zum ambulanten Operieren, Notfallstationen, Reha- und Pflegeangeboten.

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