Klinikalltag

Manager und Ärzte sind oft uneins

Hippokratischer Eid versus Wirtschaftslogik: In den Kliniken wächst der Druck. Experten warnen, dass Vertrauen verloren geht.

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BERLIN. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zeichnet ein düsteres Bild von der Therapiefreiheit im Krankenhaus.

Viele Chefärzte sähen sich von den kaufmännischen Abteilungen mit Mengenvorgaben für einzelne Eingriffe konfrontiert, sagt Professor Hans-Joachim Meyer.

Widersetzten sich Ärzte ökonomischen Erwägungen, folgten Sanktionen. Missliebige Führungskräfte würden nach Gutsherrenart ausgewechselt, berichtet Meyer.

In der Tat scheinen Geschäftsführer und Ärzte in Kliniken eher uneins zu sein, wie Medizin und Management zusammenwirken. Dies zeigt eine Studie der Professoren Karl-Heinz Wehkamp (Universität Bremen) und Heinz Naegler (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin).

Medizin nicht allein entscheidend

Ärzte geben darin sehr viel häufiger an, dass Patienten nicht aus medizinischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen stationär aufgenommen werden. Eine entsprechende Aussage bejahten 16 von 20 befragten Ärzte, jedoch nur drei von 21 Geschäftsführern.

19 Ärzte stimmten auch der Behauptung zu, dass jene Abteilungen und Verfahren bevorzugt ausgebaut werden, die dem eigenen Haus viel Geld bringen. Dies bejahten acht Geschäftsführer, zehn verneinten. Wehkamp und Naegler haben ihre Ergebnisse am Montagabend im Rahmen des Spreestadt-Forums der TU Berlin vorgestellt.

Die Kommerzialisierung der Medizin ist auch auf Ärztetagen ein Dauerthema. So hatte der Freiburger Medizinethiker Professor Giovanni Maio 2013 in Hannover erklärt, dass die Ökonomie dann zum Problem werde, wenn die ihr innewohnende Logik auf den Inhalt der Medizin selbst angewendet werde.

Die aktuelle Studie von Wehkamp und Naegler legt nahe, dass dies längst passiert ist. Zwölf der befragten Ärzte und neun Geschäftsführer stimmten der Aussage zu, dass Patienten heute mehrfach aufgenommen werden, auch in Fällen, in denen "aus medizinischer Sicht vor der DRG-Ära" nur ein Klinikaufenthalt üblich war.

Die befragten Geschäftsführer bestätigten auch, dass ärztliche Dienstverträge in der Regel Zielvereinbarungen enthalten. Sieben Befragten nannten dabei betriebswirtschaftlichen Vorgaben wie etwa finanzielle Erlöse oder die Zahl der Eingriffe. Weitere zehn gaben an, andere Ziele wie etwa eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit darin festzulegen.

Kliniken schreiben rote Zahlen

Rund die Hälfte der knapp 2000 Krankenhäuser in Deutschland schreibt rote Zahlen. Die Verwaltungen versuchen Effizienzreserven zu heben, möglicherweise auch auf Kosten des Patientenwohls. So sind laut der Statistik des Bundeswirtschaftsministeriums die Fallzahlen seit 2004 um rund zwei Millionen auf 19,1 Millionen gestiegen.

Die Verweildauer hingegen hat kontinuierlich abgenommen und lag 2014 bei 7,4 Tagen. DGCH-Präsidentin Professor Gabriele Schackert beklagt, dass es bereits üblich sei, Patienten von zu Hause direkt in den OP-Saal zu bestellen. Das jedoch sorge für zusätzlichen Stress bei den Betroffenen.

"Eine Medizin am Fließband, die jährlich eine Leistungssteigerung verlangt, verliert den Patienten aus dem Blickfeld", sagt sie.

Medizinische Entscheidungen , stellt Naegler klar, seien allein aufgrund der spezifischen Bedürfnisse des Patienten zu treffen. Spielten die Interesse anderer "Stakeholder", etwa die der Eigentümer oder der Belegschaft, eine Rolle, werde die Medizin ökonomisiert. Viele Ärzte wüssten heute nicht, so Wehkamp, ob das Wohl der Patienten oder das der Organisation Vorrang habe.

Dies liege auch an den unterschiedlichen Logiken der Medizin und des Managements.Besonders besorgniserregend stufen Wehkamp und Naegler die Folgen des hohen ökonomischen Drucks in den Kliniken ein. "Der Versorgungsablauf wird deutlich beschleunigt und eine zurückhaltende Medizin von einem schnellen Interventionismus abgelöst", sagt Wehkamp.

So würden Klinikärzte Anamnesen und körperliche Untersuchungen eher vernachlässigen und Diagnosen schnell erstellen - mit der Gefahr, dass es zu Fehlbehandlungen komme. (af/wer)

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