Kleine Kliniken

Wettbewerb drückt, Politik setzt auf Zukunft

Im Rhein-Main-Gebiet gibt eine kleine Klinik in Flörsheim auf, während der Kreistag Groß-Gerau an seiner defizitären Kreisklinik festhält. Die beiden Häuser spiegeln das Dilemma der deutschen Krankenhauslandschaft wider.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Auch für Kliniken in großstädtischen Lagen geht es oft ums Ganze. Überkapazitäten erhöhen den Wettbewerbsdruck.

Auch für Kliniken in großstädtischen Lagen geht es oft ums Ganze. Überkapazitäten erhöhen den Wettbewerbsdruck.

© Konovalov Pavel / stock.adobe.com

GROSS-GERAU/FLÖRSHEIM. Das Rhein-Main-Gebiet verdeutlicht dieser Tage, in welch schwieriger Situation sich vor allem kleinere Kliniken in Deutschland befinden. Während der Kreistag Groß-Gerau mit großer Mehrheit beschlossen hat, die 1965 gegründete, defizitäre Kreisklinik Groß-Gerau zumindest bis 2026 weiterzuführen, wird das nur wenige Kilometer entfernt im Main-Taunus-Kreis liegende, 1904 gegründete Marienkrankenhaus in Flörsheim am Main zum 30. September geschlossen.

Die Kliniken im Rhein-Main-Gebiet kämpfen mit Überversorgung und hartem Wettbewerb. Wie Dr. Boris Augurzky, am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit, vor knapp zwei Jahren bei einer Veranstaltung in den Main-Taunus-Kliniken in Bad Soden betonte, gebe es in der Region zwar nicht so sehr das Problem der kleinen Häuser. Es gebe eher viele große Standorte mit Problemen. Augurzky warnte, Kooperationen seien in einem Umfeld mit starkem Wettbewerb – wie er in Teilen der Region herrsche – zu instabil. Fusionen wie zwischen Höchst und Main-Taunus seien daher erforderlich. Außer in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft seien Kliniken am Markt als Ketten besser aufgestellt denn als Solisten.

Kostenträger am Pranger

Marienkrankenhaus Flörsheim

Gründung: 1904, reines Belegkrankenhaus

Betten und Personal: 95 Betten, 109 Mitarbeiter und 25 Belegärzte

Trägerschaft: Christliches Krankenhaus unter dem Dach der Marienhaus Unternehmensgruppe

Augurzky sorgte zum gleichen Zeitpunkt für Aufsehen mit einer Modellrechnung des RWI, derzufolge 210 Krankenhäuser in Deutschland vom Netz genommen werden könnten, ohne die stationäre Versorgung dadurch spürbar zu beeinträchtigen.

Ausschlaggebend für die Schließung des Marienkrankenhauses sind nach Angaben des Geschäftsführers Michael Osypka in erster Linie wirtschaftliche Gründe: Zum einen seien Belegabteilungen gegenüber Hauptfachabteilungen strukturell benachteiligt, was insbesondere für die operativen Fächer gelte. Zum anderen vergüteten die Kostenträger die Leistungen in der konservativen Orthopädie nicht adäquat und wollten diese möglichst in den ambulanten Bereich verlagern, so Osypka weiter. Weil ein Schwerpunkt in der stationären Arbeit der Orthopäden, die im Marienkrankenhaus tätig seien, aber genau auf dieser konservativen Behandlung liege, gehe dem Haus "finanziell allmählich die Puste aus". Deshalb habe sich die Marienhaus Unternehmensgruppe, zu der das Flörsheimer Krankenhaus gehört, "schweren Herzens" zu diesem Schritt entschieden.

Das Marienkrankenhaus gehört mit seinen 95 Betten und 109 Mitarbeitern zu den kleinen Krankenhäusern im Lande und ist nach eigenen Angaben eines der wenigen reinen Belegkrankenhäuser. 25 Ärzte nutzten es, um hier ihre Patienten stationär zu behandeln. Die Belegärzte und Therapeuten, die ihre Praxis im Krankenhaus selbst haben, könnten dort bleiben. Ihre Mietverträge würden nicht gekündigt. Ansonsten, so Osypka weiter, sei die Frage, wie das Gebäude in Zukunft genutzt werden könnte, noch völlig offen.

Kreisklinik Groß-Gerau

Gründung: 1965, firmiert seit 1. Januar 2010 als GmbH

Betten und Personal: 220 Betten und rund 450 Mitarbeiter

Trägerschaft: Kommunales Krankenhaus mit dem Kreis Groß-Gerau als alleinigem Gesellschafter

In einer "Fortführungsprognose für das Jahr 2017ff.", die dem Kreistag Groß-Gerau unter anderem als Vorlage zu seiner Abstimmung Mitte Mai diente, richtete Reinhold Linn, seit November neuer Geshäftsführer der Kreisklinik Groß-Gerau, einen flammenden Appell an die Kommunalpolitiker, für sein Haus nicht den Daumen zu senken. "Zusammenfassend ist festzustellen, dass insbesondere unter Berücksichtigung der strategischen Neuausrichtung sowohl Fortführungsmöglichkeiten bestehen als auch eine Fortführungsfähigkeit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für die Kreisklinik gegeben ist", so Linn. Auch sei zu beachten, dass nach den Prognosen der KV Hessen der Bevölkerungszuwachs im Kreis Groß-Gerau in den nächsten Jahren rund zwölf Prozent betragen werde und dementsprechend auch unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklungen von einem steigenden Bedarf an medizinischer Versorgung in den nächsten Jahren auszugehen sei.

Aus Sicht der Geschäftsführung könne "nur eine positive Fortführungsprognose abgegeben werden. Benötigt wird nun der Fortführungswille der verantwortlichen Instanzen. In diesem Sinne sollte der Kreistag den Mut finden, einer dauerhaften Fortsetzung des Betriebes der Kreisklinik zuzustimmen", so Linn.

Kooperationspläne ohne Erfolg

Laut Linn weist die Klinik 2015 ein Defizit von rund 4,1 Millionen Euro auf. "Die Kreisklinik kann derzeit nur überleben, indem der Kreis Groß-Gerau als Gesellschafter der Klinik jährlich den Verlustausgleich übernimmt". Für 2022/23 peilt Linn eine schwarze Null an.

In der jüngeren Vergangenheit gab es einige Szenarien über regionale Kooperationen, die die Kreisklinik aus der Misere führen sollten. So war geplant, mit dem Städtischen Klinikum Darmstadt, dem Gesundheitszentrum Rüsselsheim und der Vitos Klinik Riedstadt als strategischen Partnern eine gemeinsame Gesellschaft zu gründen mit dem Zweck, die Kreisklinik in ein Zentrum für Altersmedizin umzuwandeln. Dem Vorhaben versagte Hessens Sozialministerium jedoch begehrte Mittel aus dem Strukturfonds.

Die Hessische Krankenhausgesellschaft gibt zur Entwicklung in beiden Häusern keine Stellungnahme ab, wie es auf Nachfrage hieß.

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