Case-Management

Therapie ohne Schnittstellenprobleme

Die Berufsgenossenschaften setzen auf Case-Management. Früher kümmerten sich "Berufshelfer" um die schnelle Wiedereingliederung nach Arbeitsunfällen, heute heißen sie "Reha- Manager" oder "Reha-Berater". Patienten-Vorteil: Optimale Behandlungspfade ohne Leerlauf.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Reha-Sprechstunde in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt.

Reha-Sprechstunde in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt.

© Winnat

FRANKFURT/MAIN. Der Übergang von der stationären in die ambulante Versorgung gehört, zumal er häufig auch noch mit einem Kostenträgerwechsel verbunden ist, zu den besonders kritischen Schnittstellen der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Gesetzgeber hat darauf zuletzt mit Vorgaben zum Entlassmanagement sowie neuen Pflegeleistungen nach Krankenhausaufenthalt ("Unterstützungspflege") reagiert, deren Erfolg noch abzuwarten bleibt.

Einen ganz anderen Weg geht die gesetzliche Unfallversicherung, die Krankenbehandlung und Reha aus einer Hand organisiert. Früher hießen sie "Berufshelfer", heute in vielen Berufsgenossenschaften "Reha-Manager" oder "Reha-Berater": Professionelle Therapiebegleiter, die gemäß dem Auftrag der Unfallversicherung unterwegs sind, "die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen", wie es gleich eingangs des Sozialgesetzbuches VII (§ 1, Abs. 2) heißt.

16-Wochen-Prognose

Einer von ihnen ist Paul Schlick, der hessenweit im Dienst der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) Patienten nach Arbeitsunfällen hilft, so schnell wie möglich wieder zurück ins gewohnte Gleis zu kommen. Und das beinhalte, wie Schlick erläutert, nicht nur die größtmögliche gesundheitliche Wiederherstellung. Vielmehr umfasse der Reha-Begriff der Berufsgenossenschaften auch berufliche und soziale Unterstützungsleistungen. Ein Reha-Manager koordiniere nicht nur frühzeitig ärztliche und therapeutische Maßnahmen, sondern bei Bedarf auch Umschulungsmaßnahmen, Haushaltshilfen, technische Wohnungs- und Kfz-Umbauten, Erholungsurlaube oder sogar soziale Unterstützung, wenn Patienten nach längerer Krankheit unter Vereinsamung leiden, erklärt Schlick.

Ein Reha-Manager werde im Regelfall immer dann tätig, wenn Diagnosen mit einer Arbeitsunfähigkeitsprognose von 16 Wochen und mehr vorliegen. Darüber hinaus stellen aber auch unerwartete Komplikationen im Therapieverlauf, gravierende psychische Probleme eines Patienten oder eine akute Gefährdung des Arbeitsplatzes Indikationen für den Einsatz des Reha-Managers dar.

Wichtigste Adresse für Reha-Berater Schlick sind die BG Kliniken, in seinem Einzugsgebiet vor allem die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik (BGU) in Frankfurt. Hier hält Schlick zusammen mit einem für die jeweilige Berufsgenossenschaft zuständigen Arzt regelmäßige Reha-Sprechstunden ab. Bei diesen Fallkonferenzen wird besprochen, welche Reha-Maßnahmen für einen Patienten angezeigt wären. Kurzfristig kann sämtliche erforderliche Diagnostik im Haus gemacht werden. Am Ende einer Sitzung vereinbaren und unterschreiben Arzt, Patient und der Reha-Berater einen detaillierten Rehaplan. Die Patienten wolle man durch diese Zielvereinbarung nicht gängeln, sondern vielmehr motivieren, sich in die Rehabilitation einzubringen, erläutert Schlick das formelle Vorgehen. "Wir wollen ein optimales Reha-Ergebnis erzielen. Als Kostenträger machen wir alles, was erforderlich ist."

So wie bei Elke M., mit der Schlick Ende Mai in der BGU verabredet war. Die 54-jährige arbeitet in Teilzeit bei einer großen Drogeriemarktkette. Sie ist eigens aus Nordhessen angereist, weil, wie sie gleich zu Beginn der Sitzung berichtet, "meine Physiotherapeutin sagt, dass sie mit ihrem Latein am Ende ist". M. war im November vorigen Jahres bei der Arbeit gestürzt. Folge: Ein Bruch im linken Schultergelenk. Prognostisch fiel sie zunächst nicht in das 16-Wochen-Raster, das den Einsatz eines Reha-Managers ausgelöst hätte, so Schlick. Doch nachdem die Patientin auch noch sechs Monate nach der Op in einer ortsansässigen Klinik den Arm maximal nur um 90 Grad anheben kann, muss Schlick jetzt zusehen, wie sich die Funktion doch noch verbessern lässt.

Oberarzt Dr. Matthias Rindermann stellt klar, dass es in der Rehasprechstunde nicht darum geht, die Leute um jeden Preis arbeitsfähig zu machen. "Mein Arzt meinte, ich könnte längst wieder arbeiten gehen", berichtet die Patientin, der nach eigenem Bekunden zu Hause inzwischen "die Decke auf den Kopf fällt". Doch müsste sie in der Drogerie auch Regale befüllen. "Das ist bei dieser eingeschränkten Beweglichkeit nicht zu vertreten", sind sich Rindermann und Schlick einig. Nachdem sich Rindermann mittels CT davon überzeugt hat, dass die einliegende Platte nicht die Bewegung behindert und der Bruch verheilt ist, schlägt er vor, die Platte vorzeitig zu entfernen und eine dreiwöchige stationäre Reha unter Einsatz eines Schmerzkatheters folgen zu lassen. "Wir haben hier ein deutliches Rehadefizit, nämlich einen verlängerten Heilungsverlauf nach einem operativen Eingriff", lautet sein Befund. Mit der Mobilisierung des Gelenks, in dem sich unterdessen Vernarbungen gebildet hätten, "hätte man viel früher beginnen sollen".

Im abschließenden Rehaplan wird vereinbart, dass M. einige Tage Bedenkzeit erhält, um über den Klinikaufenthalt in Frankfurt zu entscheiden. Ihr ist anzumerken, dass sie sich mit dem Gedanken, wenigstens drei Wochen lang auf Freunde und Familie verzichten zu müssen, nicht spontan anfreunden kann.

Zwingen kann man sie nicht. Der Patient habe zwar eine Schadenminderungspflicht, erklärt Schlick. Doch "bei allem was unter die Haut geht", sei die Einwilligung nötig. "Lehnt ein Patient einen Eingriff ab, weil ihm die Sache zu riskant erscheint, müssen wir das grundsätzlich akzeptieren, Entschädigungsansprüche gehen ihm dadurch nicht verloren". – Weil sich in Nordhessen aber keine Einrichtung finden lässt, die eine Reha mit Schmerzkatheter anbieten kann, entscheidet sich Elke M. am Ende für die stationäre Reha in der BG Unfallklinik.

Chirurg Rindermann ist von der Zusammenarbeit mit den Reha-Beratern überzeugt. "Wir sind froh, dass wir sie haben". Das gelte nicht nur wegen der meist schnellen und unbürokratischen Bewilligungs-Entscheidungen, sondern auch, "weil die berufsgenossenschaftlichen Fallmanager ein offenes Ohr für die sozialen Probleme der Patienten haben", betont Rindermann. "Es entlastet massiv, dass man sich als Arzt auf die Medizin konzentrieren kann". Bei rund drei Prozent aller meldepflichtigen Arbeitsunfälle jährlich kämen Reha-Manager zum Einsatz, weiß Schlick. Das seien nach seiner Einschätzung allein für sein Haus etwa 4000 Versicherte. Bundesweit arbeiten für die BGHW knapp 50 Kollegen. Die Patientenzufriedenheit sei hoch. Wie effizient die Rehasprechstunde im BG-Heilverfahren ist, werde derzeit in einer eigenen Studie der BG-Unfallklinik Frankfurt ermittelt.

97 Prozent Erfolgsquote

Für die Berufsgenossenschaften lohnt sich das aufwändige Fallmanagement zweifellos. Mit dem Erfolg der Heilbehandlung sinkt schließlich das Risiko, lebenslange Unfallrenten auszahlen zu müssen. Die werden bereits ab 20 Prozent geminderter Erwerbsfähigkeit fällig. Eine Benchmarkstudie der DGUV zur Effektivität der persönlichen Fallsteuerung ergab 2013, dass die Dauer der Arbeitsunfähigkeit etwa nach Unterschenkelfraktur bei hohem Steuerungsgrad im Schnitt 80 Tage kürzer war als bei geringgradiger Fallsteuerung. Unterm Strich verzeichnete die berufsgenossenschaftliche Reha eine hohe Erfolgsquote: Von 100 Rehabilitanden konnten nach Therapieende 97 die gleiche oder eine ähnliche Tätigkeit wie vor ihrem Unfall ausüben. Bei lediglich 2,8 Prozent war keine Wiedereingliederung ins Arbeitsleben möglich.

Arbeitsunfälle

» Im aktuellen Berichtsjahr 2016 ereigneten sich nach Angaben des Spitzenverbands der Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in der gewerblichen Wirtschaft und im öffentlichen Sektor rund 876.579 meldepflichtige Arbeitsunfälle und rund 184.854 meldepflichtige Wegeunfälle.

» Als medizinische Versorgungseinrichtungen in Trägerschaft der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen sind die BG Kliniken spezialisiert auf die Behandlung von Arbeits- und Wegeunfällen sowie Berufskrankheiten.

» Besondere Kompetenz haben die BG Kliniken in Spezialdisziplinen wie der Therapie von Brand-, Hand- und Rückenmarksverletzungen oder der Versorgung von Schädel-Hirn- und Mehrfach-Verletzungen.

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