Brasilien

Vom Aufstand zur besseren Gesundheit?

Der Schrei der Brasilianer nach einer besseren Gesundheitsversorgung scheint Früchte zu tragen. Der Staat investiert massiv in eine bessere Versorgung - gute Aussichten für die deutsche Medtech-Branche.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Im Juni gingen in Sao Paulo Menschenmassen auf die Straße, um unter anderem für ein besseres Gesundheitssystem zu demonstrieren.

Im Juni gingen in Sao Paulo Menschenmassen auf die Straße, um unter anderem für ein besseres Gesundheitssystem zu demonstrieren.

© Fotoarena / imago

Sao Paulo. Auf der Suche nach neuen Absatzchancen für ihre Produkte kann sich für die deutsche Medizintechnikbranche ein Blick nach Brasilien lohnen. Denn mitten in den Vorbereitungen auf Fußball-WM und Olympiade wurde das Land Anfang Juni dieses Jahres ins Knochenmark getroffen.

Aus Protesten gegen eine Fahrpreiserhöhung im öffentlichen Personentransport Sao Paulos wurden innerhalb von Tagen landesweite Massendemonstrationen - unter anderem für ein besseres Gesundheitssystem.

Eine der ersten Reaktionen der brasilianischen Regierung war nach Beobachtungen der deutschen Außenhandelsagentur Germany Trade & Invest (gtai) das Programm "Mais Medicos": Ärzte aus Kuba und anderen Ländern wurden für den Einsatz in abgelegenen und wirtschaftlich schwachen Regionen angeworben.

Dem staatlichen Gesundheitssystem SUS (Sistema Único de Saúde) fehlt es, so die Einschätzung der gtai, allerdings auch an einer effizienten Verwaltung.

Absurditäten wie neu errichtete Krankenhäuser ohne Betriebserlaubnis oder Anschaffungen teurer Medizintechnik ohne Mittel für Infrastruktur, Installation, Wartung und geschultes Personal kursieren allwöchentlich durch die Presse. Darüber hinaus fällt ein bedeutender Teil des SUS-Budgets der Korruption zum Opfer.

Größte Unzufriedenheit herrscht mit dem Gesundheitssystem

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ibope ist in keinem anderen Politikfeld die Unzufriedenheit der Brasilianer größer als in der Gesundheitspolitik. Folglich sei mit stärkeren Investitionen in die staatliche Gesundheitsversorgung und in die technische Ausstattung zu rechnen.

Bei der Verabschiedung des Haushalts 2014 legen laut gtai sowohl die Bundesregierung als auch bundesstaatliche Regierungen ihre Priorität auf die Gesundheitspolitik.

Dabei solle das Leistungsangebot des SUS bereits stetig erweitert werden. Im Zeitraum von 2010 bis 2012 investierte das Gesundheitsministerium 92,3 Milliarden brasilianische Real (rund 36,9 Milliarden Euro) in die Brustkrebsvorsorge für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren.

Die Kapazitäten zur Durchführung von Mammografien seien um 37Prozent erhöht und die Zahl der tatsächlich durchgeführten Untersuchungen um 26 Prozent gestiegen. Zudem stünde Frauen seit Mai 2013 nach einer Amputation das Recht auf die Wiederherstellung der Brust zu.

Rechtsanspruch auf zügige Krebstherapie

Seit Mitte 2013 hätten Krebspatienten Anspruch auf Beginn einer angemessenen Krebstherapie innerhalb von maximal 60 Tagen nach Diagnose. Die Wartezeiten hätten aufgrund mangelnder Kapazitäten zuvor bei bis zu sechs Monaten gelegen.

Das Budget für die Behandlung von Krebserkrankungen liege 2013 um 120 Prozent über dem des Vorjahrs. Bereits von 2010 bis 2012 seien die zur Verfügung stehenden Mittel um 26 Prozent und die Zahl radiotherapeutischer Behandlungen um 17,3 Prozent gestiegen.

Der Mangel im staatlichen Gesundheitswesen beruht nicht nur auf unzureichenden Mitteln, sondern auch auf einer ineffizienten öffentlichen Verwaltung. Laut gtai seien mit Bezug auf Angaben des brasilianischen Rechnungshofs TCU (Tribunal de Contas da União) 2012 im Bereich Gesundheit nur 27 Prozent des zur Verfügung stehenden Budgets verwendet.

Im Kampf gegen Korruption setzten viele Bundesstaaten mittlerweile eine neu entwickelte Software namens PUBLInexo ein, um Transparenz beim Kauf von Medikamenten und Medizintechnik zu gewinnen und so Kosten zu reduzieren. Das Programm biete eine Übersicht über Preise und die entsprechenden Verkaufsmengen von 13.000 Zulieferern an öffentliche Krankenhäuser.

Die stark steigende Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen in Brasilien entsteht, wie die Außenhandelsagentur hinweist, auch durch den zunehmenden Anteil älterer Personen sowie übergewichtiger Menschen.

Jährlich würden mehr als 160.000 Herz-Op durchgeführt, nur in den USA seien es mehr. Auch im Bereich der plastischen Chirurgie liege Brasilien im weltweiten Vergleich auf dem zweiten Platz nach den USA. Die Zahl der chirurgischen Eingriffe steige pro Jahr um über 20 Prozent. Die am häufigsten durchgeführte Op sei die Magenreduktion.

Mit steigender Beschäftigungszahl und Kaufkraft habe in den vergangenen Jahren auch die Zahl der Privatversicherten zugenommen. Im Juni 2013 verfügten nach Angaben der Regulierungsbehörde der privaten Gesundheitsversorgung ANS bereits 49,2 Millionen Brasilianer über eine private Krankenversicherung.

Die Magenreduktion zum Beispiel werde zwar inzwischen auch über das staatliche Versorgungsnetz SUS angeboten, zu einem Großteil aber über private Einrichtungen durchgeführt. Neben der plastischen Chirurgie fänden sich auf dem Gebiet der klinischen und bildgebenden Diagnostik und in der Zahnmedizin viele private Einrichtungen.

Deutschland zweiwichtigster Medtech-Exporteur

Unter den privaten Dienstleistern kündigten im 1. Halbjahr 2013 in erster Linie private Krankenhausketten Investitionen an, darunter die zwei onkologischen Klinikgruppen COI und Oncotrata. Zudem erweitern viele private Krankenhäuser in der Metropolregion Sao Paulo ihre Kapazitäten im Bereich der Krebsbehandlung.

Das brasilianische Gesundheitswesen befindet sich nach gtai-Einschätzung in einer Phase des Ausbaus. Innerhalb von fünf Jahren habe sich die inländische Nachfrage nach Medizintechnik verdoppelt und 2012 einen Umfang von 14,7 Milliarden Real erreicht.

Der Wachstumsmarkt wirke attraktiv auf multinationale Hersteller. Nach Philips, GE Healthcare und Siemens habe im März dieses Jahres auch Toshiba Medical die Produktion von komplexer Medizintechnik in Brasilien aufgenommen.

Etwa 60 Prozent des inländischen Bedarfs an Medizintechnik würden über Importe gedeckt. Im Zeitraum von Januar bis August 2013 führte Brasilien laut gtai Medizintechnik im Wert von fast 1,9 Milliarden US-Dollar ein.

Der Import habe um 20 Prozent über dem des Vorjahreszeitraums gelegen. Der Anteil deutscher Medizintechnik am Einfuhrvolumen habe rund 14 Prozent betragen. Damit Sei Deutschland nach den USA das zweitwichtigste Lieferland.

Insbesondere in den Bereichen Zahnmedizin, Ophthalmologie und Strahlenmedizin seien Produkte aus Deutschland gefragt. Nach Deutschland seien von Januar bis August 2013 China, die Schweiz, Frankreich und Japan die wichtigsten Lieferländer gewesen.

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