Lab-on-Chip

Das Labor in der Kitteltasche

Einer neuer Trend ereilt die Versorgungswelt: Minilaborsysteme für die Kitteltasche. Doch die sogenannten LOC sollen Ärzten nicht nur bei der schnellen Diagnostik helfen.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Gleich mehrere Laborfunktionen können in den Chips hinterlegt werden.

Gleich mehrere Laborfunktionen können in den Chips hinterlegt werden.

© MADDRAT / fotolia.com

DÜSSELDORF. Das Gesundheitswesen wird derzeit überspült mit sogenannten Medical Devices, die zu jeder Zeit und an jedem Ort Gesundheitsdaten von Patienten erheben. Doch zusammentragen lässt sich die Flut an Informationen bislang nicht.

Und nach wie vor warten Ärzte auf die längst versprochenen Telemedizin-Ziffern im EBM. Trotz dieser ungelösten Probleme rollen die nächsten Minidatensammelstellen auf uns zu: Lab-on-Chip-Systeme, auch LOC genannt.

Dieser Trend allerdings könnte tatsächlich etwas bewegen, wie eine Diskussionsrunde auf dem Health IT Forum auf der Medizinmesse Medica zeigte. Selbst wenn auch hier noch einige dringliche Fragen auf Antworten warten.

Die Idee könnte den Praxis- und Klinikalltag revolutionieren: Ein LOC ist nichts anderes als ein Westentaschenlabor, das eine oder mehrere Laborfunktionen auf einen Chip von meist nur ein paar Millimetern bringt.

Das Spannende an den Systemen: Ärzte müssen Proben eben nicht ins Labor einschicken und warten, bis sie das Ergebnis erhalten. Die LOC zeigen ihnen die Ergebnisse direkt an.

Selbst das Monitoring läuft per Chip

Dabei kommen die Systeme nicht nur als Frühwarnindikatoren für akute Infekte und somit in der Prävention etwa von Pandemien zum Einsatz. "Inzwischen lassen sich viele Differentialdiagnosen mithilfe von LOC stellen", berichtete Professor Wolfgang Hoffmann, Abteilungsleiter Versorgungsepidemiologie und Community Health an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.

Aber auch fürs Therapiemonitoring eignen sich die Systeme. Bereits im nächsten Jahr solle ein LOC zum Monitoring der HIV-Therapie auf den Markt kommen, sagte Hoffmann. Ebenfalls bereits in der Pipeline der Hersteller befinde sich ein Testverfahren, dass im Blut zirkulierende Tumorzellen aufspürt.

Für niedergelassene Ärzte könnte neben der schnelleren Diagnose vor allem das Monitoring interessant sein. Dazu könnten die Patienten mit den LOC ausgestattet werden und die Daten dann eventuell via Internet oder Mobiltelefon an den Arzt übermitteln.

Es handelt sich also um eine Art telemedizinische Anwendung. Gerade wenn Patienten weitere Wege zum Arzt zurücklegen müssen, könnten solche Systeme verhindern, dass der Arzt Gesundheitswerte zu selten prüfen kann.

Einen Vorteil bieten die LOC auch bei der Frage, ob eine Arzneitherapie tatsächlich anschlägt. Denn selbst das - Stichwort personalisierte Medizin - lässt sich bereits mit einigen Systemen ermitteln, wie sich auf der Medica zeigte.

Was hierzulande noch Zukunftsmusik ist, nimmt etwa in Indien schon sehr konkrete Formen an. "Wir sind gerade dabei, in Indien ein therapeutisches Tracking via Mobiltelefon für Tuberkulose-Patienten aufzubauen", so Dr. Holger Becker von der Microfluidic ChipChop GmbH in Jena.

Auch hier wird den Patienten das notwendige LOC mit an die Hand gegeben. "Gerade im Präventionsbereich wird derzeit viel experimentiert", berichtete Hoffmann. Das habe jedoch auch etwas mit dem Thema Vergütung zu tun. Derzeit sind die LOC - wenn sie bereits zur Anwendung kommen - noch Selbstzahlerleistungen.

Noch ist Deutschland Vorreiter

Dabei ist die Vergütung nur eine von vielen Baustellen des neuen Trends. "Momentan ist Deutschland bei den LOC Weltmarktführer", erklärte Hoffmann. "Doch wir müssen etwas dafür tun, dass es auch so bleibt."

Allein die Entwicklung der Systeme dauert laut Hoffmann derzeit zehn bis zwölf Jahre, daran schließen sich zwei bis fünf Jahre für die Produktevaluation an. Anschließend kommt der Schritt, der das meiste Beschleunigungspotenzial birgt: Fünf bis sieben Jahre dauere die Implementierung im Markt.

Eine große Hürde seien dabei die noch bestehenden Vorbehalte bei den Leistungserbringern gegenüber den LOC. Vertraut wird eher der traditionellen und bekannten Labortechnik.

Dann wäre da noch der "legal delay", wie es der Berliner Medizinrechtler Professor Christian Dierks nannte. Denn der Gesetzgeber habe sich mit der neuen Technik bislang noch gar nicht auseinandergesetzt. "LOC sind fast immer Medizinprodukte", erläuterte Dierks, "das heißt, wir brauchen benannte Stellen, die die Zertifizierung übernehmen."

Eine Zulassung benötigen die LOC anders als Arzneimittel zwar nicht, sollten die LOC aber irgendwann in das Erstattungsverfahren der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden, wird laut Dierks eine Nutzenbewertung erforderlich.

Werden die LOC als neue Methode anerkannt, brauche es eventuell auch noch eine eigene Qualitätsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA). Zunächst müsse aber jemand den nötigen Antrag beim GBA stellen. Das müssten aber eben die Leistungserbringer oder Kassen tun.

Wann schnappt die Haftungsfalle zu?

Derweil müssen sich Ärzte aber bereits mit einem anderen juristischen Thema herumschlagen: der Haftungsfrage. Zunächst gehe es um die Frage: Ab wann muss ein Arzt einen Test machen. Allein weil die Technik steht und es erste Evaluationen gibt, sind Ärzte noch nicht dazu verpflichtet, solche Leistungen auch anzubieten.

"Die Antwort liegt immer in der Frage: Wann werden LOC zum Standard?", so Dierks. Um so mehr die Systeme tatsächlich angewandt werden, und um so mehr über sie berichtet werde, um so mehr würden sie sich auch zum wissenschaftlichen Standard entwickeln. Also alles eine Frage der Marktbeobachtung.

Was aber passiert, wenn die Taschenlabore falsche Daten liefern - also ein Falsch-Positives- oder Falsch-Negatives-Testergebnis vorliegt? "Der Arzt muss über dieses Risiko vorher aufklären", mahnte Dierks, sonst tappt er in die Haftungsfalle. Hier brauche es auch noch die nötige Evaluation der Diagnostik, sagte Hoffmann ganz deutlich.

LOC sind aber eben auch kleine Datensammelstellen. "Über die Systeme werden gesundheitsbezogene Daten der Patienten erhoben", sagte Dierks. "Diese dürfen Ärzte nicht einfach sammeln und analysieren, dazu müssen sie sich vorab das Einverständnis des Patienten einholen."

Dabei gibt es, so der Jurist, noch eine Feinheit: LOC sind für die unterschiedlichsten Krankheitsbilder erhältlich. Doch: "Ärzte sollten so einen Test nicht einfach aus der Kitteltasche zaubern."

Dierks nannte das Beispiel der genetischen Testverfahren: "Wenn ich so ein System nutze, muss ich auf genetische Medizin spezialisiert sein und den Patienten gezielt über den Test aufklären." Und auch die Testergebnisse dürften nur von einem spezialisierten Arzt mit dem Patienten besprochen werden.

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