Gehirn-Computer-Schnittstellen

Wettlauf zwischen Technik und Ethik

In der Neuromedizin versprechen Gehirn-Computer-Schnittstellen innovative Therapieansätze. Doch je intelligenter die Systeme werden, desto mehr stellt sich die Frage: Wie weit darf Technik gehen?

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Beispiel für BCI-Forschung: Eine auditorische Schreibmaschine im Test.

Beispiel für BCI-Forschung: Eine auditorische Schreibmaschine im Test.

© Ulrich Dahl/TU Berlin

NEU-ISENBURG. Gedanken steuern den Cursor am PC, bewegen Armprothesen oder tippen auf einer mentalen Schreibmaschine - Brain-Computer Interfaces (BCI) könnten nach Überzeugung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) künftig schwerstgelähmten Menschen zu mehr Autonomie verhelfen.

"Was nach Science-Fiction klingt, ist ein vielversprechender Forschungsbereich der Neuromedizin. Hier sind in naher Zukunft wichtige Innovationen für Patienten mit Querschnittslähmung, Schlaganfall oder Locked-in-Syndrom zu erwarten", erklärt der Neurologe Professor Gabriel Curio, Leiter der Arbeitsgruppe Neurophysik der Klinik für Neurologie.

"Die innovative Technik ermöglicht uns neue Erkenntnisse über die Funktion des Gehirns und neue Therapieansätze, die den Patienten ein Stück Lebensqualität zurückgeben", ergänzt DGN-Chef Professor Ralf Gold. Noch sei die Anwendung der BCI allerdings auf kontrollierte Studien beschränkt - und sie werfen neue ethische Fragen auf.

BCI speisen sich mit Daten aus EEG

Basis der BCI-Aktivität sind die via EEG registrierten Hirnströme. So werden laut DGN Gedanken der Patienten, die sich in elektrischen Impulsen ausdrücken - etwa die Vorstellung, einen Arm zu bewegen -, in einen Befehl für die Gerätesteuerung übersetzt. Selbst über das Internet sei solch eine Kommunikation möglich.

"Wir können die Gehirnaktivität wie auf einer Landkarte umso genauer erfassen, je mehr Elektroden wir auf der Kopfhaut anbringen", erklärt Curio, der die Technik im interdisziplinären Forschungsprojekt "Berlin Brain-Computer Interface (BBCI)" gemeinsam mit Professor Klaus-Robert Müller (Fachgebiet Maschinelles Lernen) und Professor Benjamin Blankertz (Fachgebiet Neurotechnologie) von der TU Berlin entwickelt.

Um allein mit Gedanken eine Maschine steuern zu können, stehe am Anfang eine Trainingsphase, allerdings nicht für den Patienten: "Der Computer lernt, nicht der Mensch", verdeutlicht Curio. Eine Person müsse sich dabei auf Kommando bestimmte Dinge vorstellen, zum Beispiel die linke oder die rechte Hand zu bewegen.

Der Lernalgorithmus des Computers bekomme dabei die Zeitpunkte der Kommandos für die linke und die rechte Handbewegung mitgeteilt. Schon nach 60 bis 80 Durchläufen könne er jene Gehirnsignale erkennen, die für bestimmte Tätigkeiten typisch sind.

Das Einsatzspektrum der BCI sei groß, so könnten sie auch für Neuroprothesen eingesetzt werden. "Mit einem Exoskelett, das voller Elektronik steckt und einem Raumanzug ähnelt, könnten Gelähmte es sogar schaffen, sich wieder auf zwei Beinen fortzubewegen", erklärt Curio.

Bei der Fußball-WM 2014 in Brasilien führte ein Tetraplegiker im Exoskelett symbolisch den Anstoß aus. Auch in der Neurorehabilitation von Schlaganfallpatienten spielten BCI eine Rolle. Durch Ableitung der motorischen Gehirnsignale und Neurofeedback lasse sich aufdecken, welche Signale für die Bewegungssteuerung zuständig sind. Patienten könnten so nach und nach lernen, ihr Gehirn "umzuprogrammieren".

Für den Versorgungsalltag noch nicht reif

So vielversprechend die Entwicklung auch ist: "BCI-Systeme gibt es nicht auf Krankenschein, sie werden derzeit nur im Rahmen kontrollierter Studien getestet. Es wird noch etliche Jahre dauern, bis wir ein System haben, das die Patienten im Alltag verwenden können", prognostiziert Curio.

Zum Beispiel seien die Elektroden auf der Kopfhaut, für deren Leitfähigkeit größere Mengen Gel notwendig sind, bisher alles andere als alltagstauglich. Geforscht werde daher an Elektroden, die nur mit Metallplättchen arbeiten, oder an nahezu unsichtbaren Miniaturelektroden, die mit einem winzigen Tropfen Gel über Adhäsion an der Kopfhaut haften.

Neben diesen risikofreien nichtinvasiven Elektroden arbeiten Wissenschaftler, so die DGN, auch mit invasiven Elektroden, die sie unter der Schädeldecke auf der Hirnhaut oder direkt in der Hirnrinde anbringen. Der Vorteil der implantierten Elektroden ist, dass sich zum Beispiel Armprothesen viel präziser steuern lassen. "Dafür muss allerdings operiert werden, was - wie jeder Eingriff - Risiken mit sich bringt", betont Curio.

Zwar seien Gehirn-Computer-Schnittstellen ein vielversprechendes und hochinnovatives Forschungsfeld, das neue Erkenntnisse über die Funktion des Gehirns ebenso ermögliche wie die Entwicklung neuer Therapien.

Doch zur Anwendung im Alltag seien noch einige technische und auch ethische Herausforderungen zu meistern - von den erforderlichen Humanexperimenten und einer Nutzen-Risiko-Analyse der Intervention ins menschliche Gehirn bis hin zu neuen ethischen Fragen der technischen Manipulation des Menschen.

"Bisher war die Grenze zwischen Mensch und Technik scheinbar klar zu ziehen. Aber wie gehen wir damit um, wenn menschliche Entscheidungsfindung und Technik ineinandergreifen und diese Grenze zunehmend verschwimmt?", gibt Curio zu bedenken.

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