Altern 4.0

Hoffen auf Gesundheits-Apps, Implantate und Datenschutz

Die technologieaffinen Babyboomer sagen dem traditionellen biologischen Altern den Kampf an. Eine Studie prognostiziert bereits für 2030 in Europa eine Revolution des Alterns - eine Vision mit Konfliktpotenzial.

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Bei der Fitness alles im grünen Bereich! Die Gesundheits-App verrät es.

Bei der Fitness alles im grünen Bereich! Die Gesundheits-App verrät es.

© Robert Kneschke / fotolia.com

Ein Leitartikel von Matthias Wallenfels

NEU-ISENBURG. Der demografische Wandel stellt Deutschland und weitere Industrieländer vor große Herausforderungen. Bisher dreht sich die Diskussion dabei meist um Stichworte wie Rentenniveau, Fachkräftemangel oder innerbetriebliches Wissensmanagement.

Außer Acht bleibt bei dieser Betrachtung, welches Potenzial die Babyboomer-Generation der digitalen Wirtschaft und der Medizintechnik bietet.

Die jüngst veröffentlichte Studie "Digital Ageing - unterwegs in die alterslose Gesellschaft" des Schweizer Gottlieb Duttweiler Institutes (GDI) im Auftrag der Assekuranz Swiss Life hat nun für das Jahr 2030 - politische und wirtschaftliche Stabilität in der Schweiz und Europa vorausgesetzt - eine Typologisierung der künftigen Rentner vorgenommen.

Dabei legt sie den Fokus neben der Altersvorsorge auch auf die Gesundheit unter besonderer Berücksichtigung von digitalen und medizintechnischen Optionen.

"Predictive Ager" bieten bis 2030 größtes Potenzial

Die "Conservative Ager" werten die Autoren dabei als die klassischen Alternden. Ihr Fokus liege auf der Bewahrung ihrer Fähigkeiten, sie nutzten keine neuen Technologien.

Sie stellten die Gesellschaft insofern vor eine Herausforderung, als sie relativ alt würden, aber unflexibel seien und kaum Innovationen zuließen. "Rebel Ager" sind laut Studie Menschen, die sich nicht mit dem Altsein begnügen.

Sie seien wachstumsorientiert, nutzten neue Technologien - aber nur, um in der analogen Welt mehr zu erleben. Rebel Ager wollten demnach in der Pensionsphase nochmals durchstarten und neue Herausforderungen angehen.

"Ageless Ager" werden als "Transhumanisten" charakterisiert, deren Ziel die Unsterblichkeit - und damit die Überwindung der Endlichkeit - sei.

Dieser Typus, für den die Optionen im Jahr 2030 noch sehr eingeschränkt sein dürften, setze Technologie für Wachstumsziele ein, wie zum Beispiel intelligente Implantate im Zusammenspiel mit omnipotenten Gesundheits-Apps.

"Predictive Ager" als Trendsetter

Die "Predictive Ager" dürften indes zum realistischen Trendsetter mit Blick auf den abgesteckten Zeitraum der nächsten 15 Jahre werden. Sie werden als bewahrungsorientiert klassifiziert und nutzten zukünftige Technologien entsprechend.

"Sie messen Gesundheitsdaten und genetische Prädispositionen für Prognosen und Empfehlungen. Ihre große technische Vernetzung vermindert ihre Privatsphäre, zudem auch die Solidarität gegenüber Leuten, die nicht gesund leben", heißt es.

Analog zum Schlagwort Industrie 4.0 - der vierten industriellen Revolution mit dem Ziel der intelligenten Firma (smart factory) - wird das Altern 4.0 vor allem auf Big Data und das Internet der Dinge setzen.

"Predictive Ager machen sich die rasant voranschreitende Verdatung unseres Lebens, die Allgegenwart von Big Data zunutze, um ihre Bewahrungsziele zu erreichen", prognostizieren die Studienautoren.

Die Daten stammten teils aus Genanalysen, die immer schneller und billiger würden. Teils erzeuge die zunehmende Nutzung mobiler Geräte riesige Mengen an persönlichen Vital- und Verhaltensdaten.

Dank Smartphones, Smartwatches und neuen Selftracking-Tools sei die Menschheit heute schon in der Lage, sich Schritt für Schritt zu vermessen und ihre Leistungen über Monate hinweg zu dokumentieren, zu analysieren und auszuwerten - auch im Zusammenspiel mit Haus- und Fachärzten.

"Die Datenbegeisterung der Quantified-Self-Bewegung trifft dabei auf Digitalmediziner", heißt es.

Grenzenlose Transparenz wird möglich

Spannend bei der Frage um die Zukunft des digitalen Alterns sind indes nicht nur die technischen Grenzen.

Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis Patienten - aus Sicht von Assekuranzen potenzielle Kunden - via intelligenter Implantate, Wearable Devices, Gesundheits-Apps und Genanalyse für eine grenzenlose Transparenz in puncto persönlicher Kondition und potenzieller Gesundheitsrisiken schaffen können.

Spätestens hier stellt sich aber die Frage, in welchen Grenzen künftig - politisch konsentiert und rechtlich konstituiert - persönliche Freiheit, Selbstbestimmungsrecht und Datenschutz kollidieren dürfen.

So hat Deutschlands oberste Datenschützerin Andrea Voßhoff bereits Avancen des Versicherers Generali, Datentransparenz via Fitness-Apps mit günstigeren Tarifen belohnen zu wollen, kritisch hinterfragt.

Sie warnte Interessenten mit einem Blick auf "langfristige Gefahren" vor einer zu schnellen freiwilligen Datentransparenz. Aber auch die Vertreter der digitalen Wirtschaft wissen, wie dünn das Eis im Zuge des rasanten technologischen Fortschritts werden kann.

So hatte vor Kurzem eine Umfrage unter Softwareentwicklern in Deutschland zu Bio-Hacking ergeben, dass sich selbst von dieser Gruppe nur knapp ein Prozent einer medizinischen Kontrollinstanz der Krankenversicherung am eigenen Körper gegenüber offen zeigen würden. Auch sie haben rechtliche Bedenken.

Das besonders datenschutzsensible Deutschland könnte hier - quasi in Leuchtturmfunktion - auch unter Einbeziehung von Medizinjuristen und -ethikern federführend für Europa die rechtlichen Leitplanken für das Altern 4.0 abstecken.

Dafür bedarf es des politischen Willens und der tatkräftigen Initiative fernab der aktuellen tagespolitischen Herausforderung. Denn eine rechtliche, politische und wirtschaftliche Stabilität trägt auch positiv zur Gesundheit bei.

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