Nutzenbewertung von Medizinprodukten

Ab sofort gelten neue Regeln!

Der GBA hat geliefert: Medizinprodukte hoher Risikoklasse, die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden darstellen, unterliegen neuen Bewertungsregeln. Die Medizintechnikbranche fordert eigene wissenschaftliche Leitlinien.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:

BERLIN. Mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger ist Anfang dieser Woche für die Medizintechnikbranche eine modifizierte Verfahrensordnung in Kraft getreten, die die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse nach Paragraf 137h SGB V betrifft.

Sie fußt auf der zu Jahresstart in Kraft getretenen Medizinproduktemethodenbewertungsverordnung (MeMBV). Damit können im Herbst dieses Jahres erste Verfahren beginnen, wie der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) auf Nachfrage der "Ärzte Zeitung" sagte.

Wie der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), der die Verfahrensordnung erarbeitet hat, hinweist, hält er hierzu die wesentlichen Informationen auf seinen Internetseiten bereit. Krankenhäuser und Medizinproduktehersteller können sich beim GBA im Vorfeld der Bewertung zum Verfahren und seinen Anforderungen beraten lassen, wie das Gremium mitteilt.

Klassen IIb und III betroffen

Betroffen von der neuen Verfahrensordnung sind Medizinprodukte der im Anhang IX der Richtlinie 93/42/EWG festgelegten Klassen IIb und III, wozu zum Beispiel Herzschrittmacher oder Endoprothesen zählen.

Konkret heißt es in der Verfahrensordnung, diese greife für Medizinprodukte hoher Risikoklassen,

- "für die erstmalig eine Anfrage nach § 6 Absatz 2 Satz 3 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) von einem Krankenhaus gestellt wurde,

- deren technische Anwendung maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinprodukts mit hoher Risikoklasse im Sinne von § 137h Absatz 2 Satz 1 SGB V beruht,

- welche ein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept aufweisen und

- für die das anfragende Krankenhaus seinen gesetzlichen Übermittlungspflichten nachgekommen ist."

Wie der GBA betont, löst die Übermittlung des Formulars, das von Kliniken zu verwenden ist, um ihm ihre Informationen über den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu der betreffenden NUB zu übermitteln, automatisch ein Bewertungsverfahren aus.

Lägen bei einer Methode alle genannten Voraussetzungen vor, bewerte der GBA, ob der Nutzen der Methode als belegt anzusehen ist oder ob sie das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet.

Die gesetzliche Grundlage der obligatorischen und fristgebundenen Nutzenbewertung gemäß Paragraf 137h SGB V wurde mit dem am 23. Juli 2015 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) geschaffen.

Gesundheitsministerium intervenierte

Die Modifizierung der Verfahrensordnung lief indes nicht reibungslos über die Bühne. So hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Mai "durchgreifende rechtliche Einwände" zu einzelnen Regelungen und genehmigte daher nur Teile des Beschlusses.

Der GBA argumentierte damals, dass eine Nutzenbewertung nicht durchführbar sei, wenn erforderliche Unterlagen fehlten. Dem widersprach das Ministerium - für ein solches Vorgehen gebe es keine gesetzliche Grundlage. Es hielt diese zusätzliche Vorgabe für unvereinbar mit dem Grundsatz der "Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt" in der stationären Versorgung.

Wie der BVMed weiter hinweist, hatte der Gesetzgeber auch klar formuliert, dass eine Benachteiligung von Patienten vermieden werden solle, die beispielsweise aufgrund methodischer Anforderungen nicht an einer Studie teilnehmen können. Auch diese Patienten sollen nach dem Willen des BMG mit neuen Methoden behandelt werden können.

"Bei der Behandlung dieser Patientengruppe kommt eine ergänzende Erhebung flankierender Daten im Sinne einer Beobachtungsstudie in Betracht, die in die Auswertung der Erprobung mit einfließen", zitiert der Interessenverband aus einem BMG-Schreiben. Diese Sichtweise werde vom BVMed unterstützt.

Die modifizierte Verordnung sieht weiterhin die Möglichkeit vor, im Bedarfsfall randomisierte vergleichende Studien (RCT) oder systematische Übersichtsarbeiten dazu - beide zählen zur Evidenzstufe I - einzufordern. "Der Nutzen einer Methode ist durch qualitativ angemessene Unterlagen zu belegen.

Dies sollen, soweit möglich, Unterlagen der Evidenzstufe I mit patientenbezogenen Endpunkten (z. B. Mortalität, Morbidität, Lebensqualität) sein", heißt es in der Verordnung.

Gerade mit Blick auf RCT hat die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) im Vorfeld der GBA-Verordnung massive Kritik an den Neuregelungen geübt. Sie sieht die wissenschaftliche Arbeit in Gefahr, da die Studien nicht immer der geeignete Weg zu sein scheinen, um einen Nutzen oder auch ein Potenzial anzuzeigen, so die AWMF.

Kritische Anmerkungen zur Verfahrensordnung gibt es auch vom BVMed. Nutzenbewertung sei, wie er betont, "richtig und wichtig". Die Branche sei für eine sachgerechte Nutzenbewertung im Einklang mit höchster Patientensicherheit. Ziel müsse es aber bleiben, dass Patienten in Deutschland auch künftig schnell von modernen und sicheren Medizintechnologien profitieren können.

Hintergrund sind die für die Medizintechnik charakteristischen, kurzen Innovationszyklen. So befinden sich zum Beispiel die bei der katheterbasierten Aortenklappenimplantation (TAVI) verwendeten Medizinprodukte nach zehn Jahren am Markt bereits in der vierten Generation.

Die modifizierte Verfahrensordnung müsse sich daher auf Sprunginnovationen beschränken, so der BVMed.

Es dürfe die für die Branche typischen Schrittinnovationen zur kontinuierlichen Verbesserung und Anpassung der Technologien nicht behindern, fordert der Verband und plädiert für die Schaffung von Leitlinien.

"Wir setzen uns dafür ein, dass eine neutrale Einrichtung im Rahmen der Evidenzbasierten Medizin wissenschaftliche Leitlinien für die Methodik zur Nutzenbewertung von Medizintechnologien entwickelt", konstatiert BVMed-Geschäftsführer Joachim M. Schmitt.

Pharma und MedTech ticken anders

Die wissenschaftlichen Leitlinien müssten dabei die Besonderheiten der Medizinprodukte besser berücksichtigen. Es sei nicht möglich, die im Arzneimittelbereich angewandte Methodik einfach auf Medizinprodukte zu übertragen, so der Verband. "Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen Medizinprodukten und Arzneimitteln.

Medizinprodukte sind heterogener, haben kurze Innovationszyklen und eine grundsätzlich andere Wirkweise als Arzneimittel", so Schmitt.

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