Komplettversorgung

Ein MVZ für Diabetiker

Auf die Versorgung von Diabetikern ist das medicum Hamburg spezialisiert. MVZ-Gründer Dr. Matthias Riedl beschreibt im Interview Vorteile und Klippen einer Komplettversorgung für Diabetiker.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Fallbesprechung: Dr. Matthias Riedl (r.) bespricht regelmäßig im Team, welche Therapie für die Patienten geeignet ist.

Fallbesprechung: Dr. Matthias Riedl (r.) bespricht regelmäßig im Team, welche Therapie für die Patienten geeignet ist.

© Dirk Schnack

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Riedl, das medicum Hamburg nimmt für sich in Anspruch, Diabetiker rundum zu versorgen. Mit welchen Fachrichtungen gelingt das?

Dr. Matthias Riedl: Neben einer diabetologischen und einer ernährungsmedizinischen Schwerpunktpraxis unter einem Dach bieten wir den Patienten Augenheilkunde, Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Geriatrie, Kardiologie, Psychotherapie, eine Wund- und Fußambulanz, Zahnheilkunde und ein Zentrum für Adipositas. Damit wollen wir erreichen, dass die Patienten nicht mehr von Praxis zu Praxis laufen müssen und nach jeder Überweisung neue Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.

Wie lang sind denn die Wartezeiten bei Ihnen?

Riedl: Im Durchschnitt warten die Patienten bei uns ein bis zwei Tage auf einen Termin. Wenn sie sich dann zwei Stunden Zeit nehmen, haben wir bis zu fünf Termine gekoppelt für den Patienten koordiniert. Die Kardiologie, Augenheilkunde und die Psychotherapie haben allerdings einen Vorlauf von mehreren Monaten. Im Notfall sind Termine kurzfristig möglich.

Was hat das - neben der Zeitersparnis - für Vorteile für den Patienten?

Die Aufteilung in Sektoren und Fachbereiche stellt viele Patienten in unserem Gesundheitswesen vor unüberwindbare Hindernisse. Das führt dazu, dass sie nicht die Versorgung erhalten, die sie benötigen. Das kann eine Über-, Unter- und auch eine Fehlversorgung sein.

Oft sind die Patienten durch das Wandern von einer Einrichtung in die nächste nicht optimal eingestellt. Mit der koordinierten Behandlung in unserem Haus glauben wir, dieses Risiko deutlich reduzieren zu können. Dafür setzen wir außer auf die vielen Fachrichtungen auch auf eine einheitliche Krankenakte und regelmäßige Fallkonferenzen.

Können Sie den Vorteil für den Patienten an einem konkreten Beispiel schildern?

Riedl: Vielen Diabetikern gelingt es nicht, einen zeitnahen Augenarzttermin zu bekommen. Bei uns hat fast jeder Diabetiker einen Termin beim Augenarzt, vor ihrem Besuch bei uns waren dies nur 70 Prozent. Ein anderes Beispiel: Wir haben eine Servicenummer, unter der rund um die Uhr jemand erreichbar ist.

Wir haben dazu ein Mitarbeiterteam gebildet, in dem jeder in alles eingeweiht ist und schnell weiterhelfen kann. Und drittens: Bei übergewichtigen Diabetikern werden die Möglichkeiten zur Gewichtsreduktion, um eine Insulintherapie abzuwenden, zu wenig genutzt. Wir bieten die verzahnte Behandlung in der Diabetesschwerpunktpraxis mit sehr guten Erfolgen an.

Sie sprachen die vielen Fachrichtungen an - welche vermissen Sie noch in Ihrem MVZ?

Riedl: Ich würde mich noch über einen Neurologen und über einen Gynäkologen freuen.

Sollten die den Mut zur Selbstständigkeit mitbringen oder stellen Sie Ärzte an?

Riedl: Ich trage dem aktuellen Trend Rechnung - junge Ärzte ziehen die Anstellung vor, oft in Teilzeit. Das zeigt sich bei uns: Ich arbeite jetzt mit 22 angestellten Ärzten und Psychotherapeuten, von denen fast alle weiblich und viele teilzeitbeschäftigt sind. Das war anfangs nicht einfach, hat sich inzwischen aber bewährt. Unsere Angestellten sind Feuer und Flamme für unser Konzept.

Gilt diese Begeisterung auch für die Krankenkassen?

Riedl: Ja, denn sie haben ja kein Konzept gegen Übergewicht, obwohl dieses Problem unser Gesundheitssystem in die Knie zwingen kann. Leider schlägt sich diese Erkenntnis für uns nicht in Vereinbarungen nieder.

Unser Konzept überzeugt medizinisch und inhaltlich, aber in Verträge mündet das aus bürokratischen Gründen bislang nicht. Ich wünsche mir einen angemessenen All-in-One-Tarif oder die Vergütung aller Leistungen, beides ist derzeit nicht möglich.

Ein großes Hindernis sind die vorgeschriebenen europaweiten Ausschreibungen. Um alle Formalien einzuhalten, müssten wir wochenlang Dokumente ausfüllen, das können wir trotz eines funktionierenden Managements nicht leisten.

Ist das ein Grund, weshalb das Konzept bislang nicht an anderen Standorten kopiert wurde?

Riedl: Das könnte ich mir vorstellen. Ich hatte das Glück, dass ich von der KV Hamburg von Beginn an konstruktiv begleitet wurde. Wenn das fehlt und die Kostenträger keine Vereinbarungen treffen, sollte man sich ein MVZ dieser Größenordnung gut überlegen. Das ist ein Wagnis, das ich niemandem empfehlen kann.

Die Honorarregeln sind so, dass wir viele der bei uns erbrachten Leistungen nicht bezahlt bekommen. Zum Glück haben wir Verträge mit einigen privaten Krankenversicherern abschließen können, für die weniger bürokratischer Aufwand notwendig war.

Was können Sie Ärzten, die große Einheiten managen müssen, aus Ihrer Erfahrung heraus raten?

Riedl: Ganz klar: eine Aufteilung in Managementressorts, für die jeweils eine Praxismanagerin zuständig ist. Ohne diese Aufteilung verliert man Geld. Wir haben im medicum Hamburg unter einem kaufmännischen Leiter inzwischen fünf Praxismanagerinnen. Seitdem wir diese Organisationsform realisiert haben, läuft es.

Je größer eine Praxis wird, desto wichtiger ist es, dass der Informations- und Kommunikationsfluss gewährleistet bleibt. Das haben wir durch die Praxismanagerinnen, die Patientenakte und Fallkonferenzen geschafft - und es war die am schwersten zu nehmende Hürde.

Für Sie persönlich war die Gründung des MVZ vor sechs Jahren auch ein wirtschaftliches Risiko. Würden Sie diesen Schritt im Rückblick noch einmal wagen?

Riedl: Rein finanziell ist das medicum Hamburg für mich persönlich kein Fortschritt. Ich habe den Schritt aber nie bereut und musste ihn machen. Ich wollte dieses Konzept unbedingt verwirklichen, weil ich davon überzeugt war, dass man damit Diabetikern am wirksamsten helfen kann.

Das gilt auch heute noch. Es war besonders in der Anfangsphase anstrengend, inzwischen sind aber alle organisatorischen Herausforderungen gemeistert.

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