Großrazzia beim MVZ

Falscher Verdacht mit Folgen

Großrazzia, Untersuchungshaft, ein ausgefallener Praxistag - der Verdacht auf Abrechnungsbetrug hat in einem MVZ in Berlin Spuren hinterlassen. Nun sind die Vorwürfe aus der Welt.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Blaulicht vor der Praxistür? Selbst wenn der Verdacht haltlos ist, bringt dasProbleme.

Blaulicht vor der Praxistür? Selbst wenn der Verdacht haltlos ist, bringt dasProbleme.

© Gerhard Seybert / Fotolia.com

BERLIN. Der Verdacht auf Abrechnungsbetrug gegen das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) Chimanos in Berlin ist ausgeräumt. Mehr als ein Jahr nach einer spektakulären Großrazzia in 22 Praxen und Wohnungen von Ärzten in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt hat die Staatsanwaltschaft Berlin nun das Verfahren gegen die Ärzte des Chimanos MVZ am Kurfürstendamm eingestellt.

Andere Verfahren laufen weiter. Die Staatsanwaltschaft hatte insgesamt gegen mehr als 100 Ärzte ermittelt. Sie warf ihnen vor, privatärztlich MRT-Leistungen abzurechnen, die sie nicht selbst erbracht, beaufsichtigt und befundet haben sollen.

Wie die "Ärzte Zeitung" jetzt erfuhr, hat das Kammergericht Berlin dem MVZ bereits im März bestätigt, dass kein hinreichender Tatverdacht für weitere Ermittlungen gegen das Chimanos MVZ bestand.

"Die bisherigen Ermittlungen haben den Anfangsverdacht vorsätzlicher Falschabrechnung ärztlicher Leistungen durch die Beschuldigten nicht bestätigt", stellte das Gericht Anfang März in dritter Instanz fest (Az.: 4Ws 5/14-161 AR 45/13).

Es wies damit eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss des Landgerichts zurück und stellte klar, dass MVZ-Geschäftsführer Dr. Richard Thiele und Dr. Thomas Hartmann zu Unrecht in Untersuchungshaft genommen worden waren.

An den 6. März 2013 erinnert sich Thiele mit Schrecken. "Überfallartig" seien Polizisten morgens um 7.30 Uhr in die Praxisräume und in die Wohnungen der Ärzte gestürmt. Thiele und Hartmann wurden verhaftet und abgeführt. Einer kam gegen Kaution frei, der andere musste die Nacht in U-Haft verbringen.

"Als das passierte, standen wir kurz vor dem Kollaps", berichtet der Orthopäde Dr. Cyrus Sarem aus dem MVZ. Das Praxispersonal war extrem verunsichert. Neun einbestellten Op-Patienten musste an diesem Tag abgesagt werden.

Seit 15 Jahren arbeiten die Ärzte im MVZ am Kurfürstendamm mit MRT. Die Befunde erstellen sie selbst. Zusätzlich beauftragen sie einen externen Radiologen, um die Diagnosen abzusichern. Das Gerät haben sie zwischenzeitlich ausgelagert, um Kosten zu senken. Es wird von der Shiva Medicare in den Räumen des MVZ eine Etage über den Sprech- und Behandlungszimmern betrieben.

Anwaltskosten im sechsstelligen Bereich

"Wir konnten alle Vorwürfe widerlegen", so MVZ-Geschäftsführer Dr. Richard Thiele. Das Kammergericht bestätigt: Sie hätten schlüssig dargelegt, dass sie korrekt abgerechnet haben. Sie hätten ausschließlich delegationsfähige Leistungen delegiert. "Für Rückfragen des medizintechnischen Personals stand jederzeit ein Arzt des MVZ zur Verfügung", so das Gericht weiter.

Das Gericht sah zudem "keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigten nicht auch die technische Ausführung der MRT-Untersuchung und der 3D-Wirbelsäulenmessung als eigene Leistung hätten abrechnen dürfen". Es erschließe sich nicht, warum es darauf ankomme, wem das MRT-Gerät gehöre.

Doch die Razzia hatte Folgen. Die Ärztekammer fragte nach, ob gegen die Ärzte ermittelt wird. "Das ist existenziell", so Thiele. Auch als Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Extrakorporale Stoßwellentherapie musste er sich erstaunte Fragen von Kollegen gefallen lassen.

Sarem berichtet ergänzend, dass die Staatsanwaltschaft auch Patienten angeschrieben und sie befragt hat, ob bei der Untersuchung ein Arzt anwesend war. Eine Privatversicherung habe ihrerseits Patienten darauf hingewiesen, dass gegen die Praxis ein Ermittlungsverfahren laufe und eine Abtretungserklärung gefordert.

Mit Schreiben vom 13. Mai teilte die Staatsanwaltschaft Berlin den Ärzten schließlich mit, dass sie für Durchsuchung und Untersuchungshaft eine Entschädigung aus der Staatskasse beantragen können. Thiele und seinen beiden MVZ-Kollegen stehen rund 8000 Euro zu. Allein die Anwaltskosten beziffert Thiele schon auf rund 100.000 Euro.

Nicht berechnet haben die Ärzte die Ausfälle aufgrund der Razzia für einen kompletten Praxistag und den Aufwand für das Zusammenstellen der Unterlagen zu ihrer Entlastung.Das alles verkraften die Ärzte.

Aber der ungerechtfertigte Vorwurf von schuldhaften Verhalten wiegt für sie schwer. Ein Trost für Thiele und seine Kollegen: "Erfreulicherweise war die Unterstützung vieler Kollegen sehr groß und außerdem sind uns unsere Patienten treu geblieben."

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Aus Unrecht wurde Recht

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