Multimedikation

Netze bieten Lösungswege

Immer mehr ältere Menschen erhalten viele Arzneimittel gleichzeitig. Ärztenetze können hier gezielt entgegensteuern. Modell steht dabei das australische System des Home Medication Review.

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BERLIN. Multimorbidität braucht spezielle Behandlungskonzepte. Das forderten Experten vor Kurzem in Berlin. Mit Blick auf die demografische Entwicklung gewinnt diese Forderung an Dringlichkeit.

Durchschnittlich vier Ärzte sucht ein Rentner nach Angaben des Arzneimittelexperten Professor Gerd Glaeske auf. Der Sachverständigenrat hat laut Glaeske schon 2009 kritisiert, dass 35 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen über 65 Jahren neun und mehr Medikamente in Dauertherapie erhalten.

Jede zehnte Krankenhauseinweisung erfolgt nach diesen Angaben aufgrund von Problemen mit Arzneimittelneben- oder -wechselwirkungen.

Mangelnde Koordination im System

"Ein Problem ist der Mangel an Koordination im System", sagte Glaeske beim Kongress der Gesundheitsnetzwerker in Berlin. Seiner Auffassung nach sollten Apotheker die gesamte Medikation ihrer Kunden einschließlich der Selbstmedikation überblicken.

Modell steht dabei das australische System des Home Medication Review. Dabei verordnet der Arzt laut Glaeske, dass Apotheker Patienten zu Hause oder im Heim besuchen und die gesamte Medikation überprüfen. Die Kosten für diese Leistung beziffert der Experte umgerechnet auf rund 120 Euro.

Nicht Apotheker, sondern Ärzte müssen Schaltstelle für Änderungen am Medikamentenplan sein, forderte dagegen Frank Meyer, Referent bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). "Der Prozess der Medikation fängt in der Arztpraxis an und gehört auch dorthin, wenn es um Änderungen geht", sagte er.

Die KVWL ist beteiligt an einem Polypharmazie-Projekt des Praxisnetzes Gesundheitsregion Siegerland mit rund 80 Haus- und Fachärzten und der Barmer GEK.

Von rund 200 Patienten, die über zwei Quartale hinweg fünf oder mehr Arzneimittel erhielten, hat das Netz nach Meyers Angaben bereits 110 eingeschrieben.

Das entspricht einer Quote von 61 Prozent. "Das ist für uns ein Hinweis darauf, dass das Projekt den Bedarf trifft", so Meyer. Eine Evaluation soll jetzt noch zeigen, ob die Zahl der verordneten Wirkstoffe gesenkt wurde.

Die Partnerin des Projekts auf Kassenseite, Sonja Laag von der Barmer GEK vertritt die Auffassung, dass Netze Probleme mit Mehrfachverordnungen am besten lösen können. "Ärztenetze sind prädestiniert dafür, dass sie Versorgung anders steuern", sagte sie.

Systematische Herangehensweise reduziert Zahl der parallel verordneten Arzneien

Auch das QuE-Ärztenetz Nürnberg Nord geht das Problem der Polymedikation systematisch an. Chronisch kranke Patienten mit acht oder mehr Wirkstoffen erhalten dort einmal pro Jahr eine spezielle Beratung.

Der Anteil von Patienten mit mehr als sieben Wirkstoffen sank laut QuE-Chef Veit Wambach von über 15 Prozent im zweiten Halbjahr 2011 im Jahresvergleich um knapp vier Prozentpunkte im dritten Quartal und um 1,3 Punkte im vierten Quartal 2012.

Im vergangenen Jahr erhielten laut Wambach 430 Patienten eine Beratung, und die Gesamtverordnungen sanken um 14 Prozent. (ami)

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