Netzwerkmedizin

Sind die USA ein gutes Vorbild für Deutschland?

In den USA bekommen bestimmte Gesundheitsnetze Boni, wenn sie helfen, dem System Geld zu sparen. Für deren Erfolg kommt es zunehmend auf die IT-Unterstützung an, so Experten.

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MÜNCHEN. Neue Organisationsformen einer vernetzten Versorgung, wie sie derzeit in den USA entstehen, könnten auch für die Netzwerkmedizin in Deutschland wichtige Impulse liefern. Das jedenfalls meint der Bayreuther Gesundheitsökonom Professor Andreas Schmid mit Blick auf sogenannte Accountable Care Organisations (ACO), die in den Vereinigten Staaten seit Kurzem vor allem von Medicare, der öffentlichen Krankenversicherung für über 65-Jährige und behinderte Bürger, bevorzugt werden.

ACO sind Netzwerke von Ärzten, Krankenhäusern und anderen zugelassenen Leistungserbringern, die für die Qualität und die Kosten der Versorgung bestimmter Patientengruppen verantwortlich sind, erläuterte Schmid bei einem Fachkongress der Stiftung Münch zur Frage "Verhilft die Digitalisierung der Netzwerkmedizin zum Durchbruch?" in München.

Viele Patientendaten notwendig

ACO, die sowohl als rechtliche Einheiten oder auch als virtuelle Organisationen auftreten können, erhalten im Medicare System zusätzlich zur Einzelleistungsvergütung einen Bonus, wenn bestimmte Einsparungen erreicht werden. Um Patienten gezielt steuern zu können, benötigen ACO möglichst viele Daten der Patienten, erläuterte Schmid. Der Einsatz elektronischer Patientenakten habe deshalb in den vergangenen Jahren enorm zugenommen.

Eine wichtige Rolle für die Netzwerkmedizin könnte auch der Einsatz von Hochleistungsrechnern spielen, die den Ärzten umfassende Informationen über Behandlungsmöglichkeiten in Sekundenbruchteilen zur Verfügung stellen können, berichtete Dr. Matthias Reumann aus dem IBM-Forschungszentrum in Zürich. Hochleistungsrechner wie der Supercomputer Watson seien schon heute in der Lage, dem Arzt alle wichtigen Informationen so aufzubereiten und anzubieten, dass diese auf einen konkreten individuellen Fall zutreffen. "Mensch und Maschine sind zusammen besser als die Maschine oder der Mensch allein", sagte Reumann. Klar sei aber auch, dass die künstliche Intelligenz des Computers die ärztliche Intelligenz nicht ersetzen kann.

Auch Professor Christian Lovis, Ordinarius für klinische Informatik an der Universität Genf, widersprach der Ansicht, Computer könnten über kurz oder lang die besseren Ärzte sein. "Die mathematische Realität produziert reihenweise Artefakte", erklärte Lovis. Google sage immer mal wieder eine Grippe vorher, wo keine ist. Zugleich forderte Lovis eine weitgehende Standardisierung von medizinischen Expertensystemen, um Informationen in Netzwerken besser verfügbar zu machen.

Durch das Internet habe sich die Arzt-Patienten-Beziehung grundlegend verändert, erinnerte Professor Karl Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité in Berlin. Früher habe er als Neurologe Patienten mit einer Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) die Diagnose möglichst schonend und in kleinen Happen beigebracht. Heute müsse er schon beim zweiten Patientenkontakt in vollem Umfang aufklären. Angesichts der täglichen steigenden Informationsflut in allen Bereichen müsse auch die IT-gestützte Medizin aufrüsten. "Wir haben in den vergangenen Jahren zu sehr gespart. Jetzt müssen wir wieder mehr Geld ins System stecken", sagte Einhäupl. (sto)

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