Im Job

Flexibilität stresst Mitarbeiter

Jüngst haben SPD-Politiker ein Anti-Stress-Gesetz zum Schutz von Arbeitnehmern gefordert - jetzt zeigt eine Studie: Das flexible Arbeiten, die ständige Erreichbarkeit und die Bereitschaft zu Überstunden gehen immer mehr Beschäftigten an die Nieren. Kleine Stellschrauben sollen Abhilfe schaffen.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Bitte abarbeiten! Von Arbeitnehmern wird eine immer stärkere Flexibilität erwartet, wenn es um das Bewältigen des Arbeitspensums geht.

Bitte abarbeiten! Von Arbeitnehmern wird eine immer stärkere Flexibilität erwartet, wenn es um das Bewältigen des Arbeitspensums geht.

© Osterland / fotolia.com

BERLIN. Wachsende Flexibilitätsanforderungen an Arbeitnehmer in der heutigen Berufswelt führen zu Konflikten zwischen Arbeits- und Privatleben. Die ständige Erreichbarkeit, Bereitschaft zu Überstunden und häufig wechselnde Aufgaben können infolgedessen Erschöpfungszustände bei Mitarbeitern auslösen.

Klare Absprachen und ausreichende Zeitpuffer können hier aber wirksame Abhilfe schaffen. Das geht aus dem aktuellen Barometer der Initiative Gesundheit & Arbeit (iga), einer Kooperation von AOK-Bundesverband, BKK Dachverband, Deutscher Gesetzlicher Unfallversicherung und Verband der Ersatzkassen, hervor.

Für den iga.Report 27 zur Arbeitssituation in den Unternehmen, der der "Ärzte Zeitung" vorliegt, wurden rund 2000 Erwerbstätige in Deutschland zur beruflichen Flexibilität und deren Auswirkungen auf Familie, Gesundheit und Erholungsfähigkeit befragt.

Die Ergebnisse des Barometers zeigen, dass zwei Drittel (65 Prozent) der Erwerbstätigen regelmäßig Überstunden leisten. Von den Betroffenen fühle sich jeder Fünfte durch die Erwartung des Arbeitgebers belastet, Mehrarbeit leisten zu müssen.

Von einem Fünftel (22 Prozent) der Befragten werde erwartet, dass sie auch im Privatleben für dienstliche Angelegenheiten zur Verfügung stehen, wobei jeden dritten Betroffenen - und damit etwas mehr als sieben Prozent der gesamten Arbeitsbevölkerung - diese Erreichbarkeit ziemlich belaste.

Erreichbarkeit führt zu Zeitkonflikten

Auffällig ist laut Bericht, dass Erschöpfungszustände und Vereinbarkeitsprobleme häufiger bei Beschäftigten vorkommen, die auch in ihrer Freizeit für ihren Job verfügbar sind. In erster Linie führe die Erreichbarkeit für Jobfragen während des Privatlebens zu Zeitkonflikten: 18 Prozent stimmten der Aussage zu, private Aktivitäten deswegen ausfallen zu lassen.

23 Prozent der Befragten fühlten sich aus diesem Grund zu erschöpft, privaten Verpflichtungen nachzukommen. In geringerem Umfang habe eine "ständige Erreichbarkeit" auch emotionale Erschöpfung zur Folge.

Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen, rät Arbeitnehmern, Belastungssituationen im Berufsalltag aktiv anzusprechen. "Mitarbeiter sollten mit ihrem Vorgesetzten bzw. Arbeitgeber klare Absprachen treffen, wann und wie sie erreichbar sein sollen. Dadurch werden Konflikte vermieden und die Belastungen der Mitarbeiter begrenzt, sie können besser abschalten und ihre Freizeitaktivitäten planen", so Elsner.

Auch unvorhergesehene neue Arbeitsanforderungen und Unterbrechungen erfordern ein hohes Maß an Flexibilität in der Arbeitswelt. So bestätigen laut Barometer 38 Prozent der Befragten, dass sie häufig ihre Arbeit unterbrechen müssen, weil etwas "Wichtiges" dazwischen kommt.

Beinahe jeder Dritte bestätige, dass sich während des Arbeitens häufig die Prioritäten verändern (32 Prozent) oder Aufgaben dazu kommen, die nicht zum eigentlichen Job gehören (27 Prozent).

AOK: Führungskräfte in der Pflicht

Uwe Deh, Geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbandes, sieht die Führungskräfte in den Unternehmen in der Pflicht. Diese sollten darauf achten, dass die Mitarbeiter gut mit zusätzlichen Anforderungen umgehen können, appelliert er an die Managementebene.

Denn, so Deh: "Die digitale und vernetzte Arbeitswelt macht die Arbeit abwechslungsreich, sorgt aber auch für immer mehr Unterbrechungen und Zusatzaufgaben. Das kann dazu führen, dass sich Beschäftigte überfordert fühlen."

Die Befragungsergebnisse zeigen, so die iga, dass sich gesetzte Zeitpuffer positiv auf das Wohl der Beschäftigten auswirken können. Vereinbarkeitsprobleme zwischen Arbeit und Privatleben sowie Erschöpfungszustände seien bei Beschäftigten, die hohe Zeitpuffer in ihrer Arbeit haben, deutlich geringer ausgeprägt als bei Beschäftigten mit geringen Zeitpuffern.

Klare Absprachen und mehr Zeit für die Bearbeitung von Aufgaben wirkten sich aber nicht nur positiv auf das Arbeitsleben aus, sie könnten auch das Privatleben bereichern. So stimmten zwei Drittel der Beschäftigten der Aussage völlig oder ziemlich zu, dass ihre Arbeit ihnen das Gefühl gibt, etwas zu leisten, und dies sich positiv auf ihr Privatleben auswirkt.

Rückenwind für Anti-Stress-Gesetz?

Die Ergebnisse des jüngsten iga-Barometers bergen politischen Zündstoff. Denn der Veröffentlichungszeitpunkt korreliert - ob von iga-Seite gewollt oder nicht - just mit einer, von der SPD angestoßenen, aufflammenden Debatte über ein Anti-Stress-Gesetz, das Arbeitnehmer vor überbordender dienstlicher Inanspruchnahme durch den Chef nach Feierabend schützen soll.

"Ein solches Gesetz würde einen wichtigen Präventionsbeitrag leisten", sagte etwa die Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, diese Woche der "Rheinischen Post".

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) suche derweil noch nach wissenschaftlichen Fakten für das Gesetz, wie demselben Medium zu entnehmen war.

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