Dr. Google wird den Hausarzt nicht ersetzen

Alle reden vom Web 2.0. Doch was bedeutet das für die Medizin? Die Palette denkbarer Anwendungen ist breit - für Ärzte und für Patienten.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Der Computer wird auch für Ärzte immer mehr zum Tor in eine interaktive Welt des Austausches mit Kollegen und Patienten.

Der Computer wird auch für Ärzte immer mehr zum Tor in eine interaktive Welt des Austausches mit Kollegen und Patienten.

© Foto: Siemens

Wer den Begriff Web 2.0 hört, der denkt meist an Internetangebote wie Youtube, StudiVZ oder Xing. Dort treffen sich Menschen mit ähnlichen Interessen online und tauschen Daten, Filme oder andere Informationen aus. Auch für Ärzte gibt es Web-2.0-Portale, auf denen sich Mediziner austauschen können.

Doch Web 2.0 in der Medizin kann sehr viel mehr leisten, als "nur" Experten zusammen zu bringen. Professor Frank Ückert vom Universitätsklinikum Münster gab bei einer Vorabveranstaltung der Medizinmesse Medica 2008 einen Einblick in den Markt der Möglichkeiten.

So lässt sich Web 2.0-Technik etwa sehr gut einsetzen, um Forschung zu unterstützen. Das an der Harvard Medical School in Boston angesiedelte Projekt HealthMap ist dafür das vielleicht bekannteste Beispiel. Interaktive Seuchenkarte ist jedem zugänglich

HealthMap wurde vor zwei Jahren von einem Epidemiologen entwickelt, um Internetquellen besser auszuwerten, die Hinweise auf neu auftretende Seuchen liefern können. Denn die ersten Hinweise auf eine neue Seuche finden sich meist in regionalen Chatrooms, in der Lokalpresse, in Gemeindeportalen oder Blogs. Beim HealthMap-Projekt haben die Epidemiologen aus Boston nun Algorithmen entwickelt, mit denen lokale Internetquellen in Landessprache nach Informationsmustern durchforstet werden, die auf einen Seuchenausbruch hindeuten könnten. Die Informationen werden überprüft und dann in eine interaktive Seuchenweltkarte eingespielt, die jedem zugänglich ist und sogar von der WHO als Quelle genutzt wird.

Nicht nur an Epidemiologen richten sich Web-2.0-Werkzeuge, die den Forscheralltag verbessern helfen. Faszinierend hilfreich ist beispielsweise die Anwendung "PubMed Citations" für den Firefox-Browser von Mozilla. Das Programm füllt eine Lücke von PubMed, indem es bei PubMed-Suchabfragen das Google-Wissenschaftsportal Google Scholar aktiviert. Das Resultat: Zu jedem PubMed-Eintrag wird die Zahl der Zitierungen angezeigt. Per Mausklick landet der Forscher bei Google Scholar, wo er dann Arbeiten oder Kurzfassungen abrufen kann.

Eher für praktisch tätige Mediziner interessant sind dagegen spezialisierte Wikis, in denen Experten Fachwissen ihrer Disziplin sammeln und - anders als beim Lehrbuch - auch kommentieren können. Eines der bekanntesten Beispiele kommt aus der Radiologie: Radiopaedia.org ist eine reichhaltige und intensiv bebilderte Informationsquelle in Sachen Röntgenbilder, CT-Aufnahmen und Co. AskDrWiki.com bietet hingegen etwas weniger spezialisierte Inhalte.

Web-2.0-Anwendungen können aber auch weniger global daher kommen: "Mittlerweile gibt es beispielsweise Einrichtungen, die Weblogs nutzen, um mit ihren Patienten ins Gespräch zu kommen", so Ückert. Bekannt ist Nick Jacobs, Leiter einer Klinik in Kalifornien. Er kommuniziert per Blog mit Patienten und gewinnt so Hinweise, wie er den Service seiner Einrichtung verbessern kann.

Schließlich finden auch immer mehr Patienten Web-2.0-Anwendungen nützlich, um für sich individuell relevantes Wissen zu erschließen. Bei MyBaby.com beispielsweise treffen sich Mütter im Internet und laden dort (unter anderem) Ultraschallbilder ihrer Ungeborenen hoch.

Das Internet verändert das Arzt-Patienten-Verhältnis

Ückert selbst arbeitet derzeit an einer Weiterentwicklung der in Münster entwickelten Akteonline. Ursprünglich war Akteonline als webbasierte Gesundheitsakte konzipiert, in die Ärzte und Patienten Gesundheitsdaten einstellen können. "Das war ein konstruktiver Fehlschlag", so Ückert im Rückblick. Jetzt wird die Akte vereinfacht und in ein Web-2.0-Portal integriert, um Patienten die Möglichkeit zu geben, sich anhand individueller Befunde auszutauschen. "Klar ist bei alledem, dass ‚Dr. Google‘ nicht zum Hausarzt werden wird beziehungsweise den Hausarzt nicht ersetzen wird", so Ückert. Dass die neuen Techniken das Arzt-Patienten-Verhältnis verändern werden, davon ist Ückert aber überzeugt.

Wichtige Web-2.0-Werkzeuge

  • Blogs: Tagebücher im Internet, die sich sowohl für die Verbreitung von Wissen als auch für den Dialog mit Besuchern des Blogs eignen.
  • Wiki: Online-Enzyklopädien, bei denen Besucher Inhalte selbst einstellen und verändern können. Im Idealfall fallen fehlerhafte Einträge anderen Nutzern rasch auf und werden verbessert.
  • RSS-Feed: Werkzeug um Inhalte automatisch oder semiautomatisch in eine Website einzuspielen. Hilft zum Beispiel bei der Erstellung interaktiver Landkarten, etwa in der Epidemiologie.
  • Podcast: Akustische Infohäppchen, die auf MP3-Player, iPhone und Co abgespielt werden können und die damit gut für unterwegs geeignet sind. Einige medizinische Fachzeitschriften bieten zu ihren aktuellen Heften Podcasts mit den Highlights der aktuellen Ausgabe an. Podcasts können mit Hilfe von MP3-Recordern problemlos selbst hergestellt werden.
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