Hintergrund

Werden Technikwunder bald zur Kassenleistung?

Die Zukunft ist mobil, das gilt auch für E-Health-Anwendungen. An innovativen Lösungen mangelt es der IT-Branche nicht: Wearable Computer heißt die Antwort auf den Patientenwunsch, mobil vom Arzt betreut zu werden. Nur in Sachen Kostenübernahme sind noch viele Fragen offen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Ein Headset soll künftig Hirnströme bei Epileptikern oder Migränepatienten messen.

Ein Headset soll künftig Hirnströme bei Epileptikern oder Migränepatienten messen.

© 4DForce

Auf dem Weg zur Kostenübernahme? Bei der CeBIT in Hannover zeigten sich Aussteller von tragbaren E-Health-Anwendungen hoffnungsvoll, dass ihre Produkte eines Tages von den Kassen bezahlt werden. Einfach wird dieser Weg nicht.

"Wir haben die Anwendungen vor allem tragbar und alltagstauglich gemacht", sagte Johanna Mischke am Stand von "wearable technologies", einer gemeinsamen Präsentation verschiedener mobiler Anwendungen auf der CeBIT in Hannover.

So zeigte "4DForce" ein Gerät, das es dem Benutzer über Biofeedback ermöglichen soll, unter anderem Migräneanfälle, Depressionen, Epileptische oder ADHS-Schübe besser zu bewältigen, erklärte 4DForceGeschäftsführer Claus-Georg Müller.

Kern des Angebotes ist ein leicht zu handhabendes Head-Set, "das die großen Hauben ablösen kann, die bisher zur Ableitung von Hirnströmen genutzt werden", so Müller. "Wir sind im Gespräch mit den Krankenkassen."

Nur im weitesten Sinne als "tragbare Technik" kann das Angebot von Bodytel durchgehen. Dabei handelt es sich um verkleinerte Monitoring-Geräte, die Köperwerte wie Gewicht oder Blutdruck messen und per Bluetooth und Mobilfunk an den behandelnden Arzt weitergeben können.

"Das ganze System ist als Medizinprodukt zertifiziert", hieß es beim Anbieter. Andere Anbieter zeigten Headsets, die man wie Schmuckstücke um den Hals trägt, oder bequeme Hemden, in die Sensoren für Köperfunktionen eingenäht sind inklusive Solarzellen zur Stromversorgung.

Keine Hoffnung auf den GBA

Bisher sind gesundheitsorientierte Anwendungen von Wearable Technologies eine Angelegenheit für den zweiten Gesundheitsmarkt. Die Nutzer zahlen selber. Denn viele Produkte bewegen sich zwischen Lifestyle und Medizinprodukt und ihr Nutzen für die Patientenversorgung ist unklar.

Der Weg zur Kostenübernahme von E-Health-Produkten und Wearable Technologies durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist steinig.

So konnte sich vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) bis heute keines der Mitglieder entschließen, einen Antrag an das Gremium zu stellen, eine E-Health-Anwendung als neue Methode anzuerkennen. Denn der GBA kann nur neue Methoden etablieren. Hier herrscht also derzeit Stillstand.

Einen weiteren Weg böte die Einordnung der tragbaren und anderen E-Health-Produkte unter die Hilfsmittel.

Die Kassen würden im Falle eines Antrages durch einen Hersteller prüfen, ob der Patient das Produkt selber anwendet und sein Verhalten anhand der ermittelten Werte ausrichtet, so Ann Marini vom GKV-Spitzenverband zur "Ärzte Zeitung". "In diesem Fall würden wir es als Hilfsmittel einstufen."

Gelingt die Einstufung als Hilfsmittel?

Wenn aber die Werte auf Servern gespeichert und so zu Therapieschritten von Ärzten führen würden, "dann sprechen wir über ein Medizinprodukt - eventuell auch schon über Telemedizin".

In diesem Falle müssten die Hersteller über ein Mitglied des GBA einen Antrag an das Gremium stellen, um bei Genehmigung die IT-Anwendung als Sachkosten im Rahmen einer medizinischen Methode abrechnen zu können - aber das ist bisher nicht geschehen.

"Vermutlich wird es an dieser Grenze zwischen beiden Varianten auch Produkte geben, für die die Einordnung schwierig wird", meint Marini.

Auch beim AOK-Bundesverband ist man zurückhaltend. "Allgemein lässt sich zu Wearable Technologies sagen, dass diese mehr an Bedeutung gewinnen und auch die AOK sich mit den darin befindlichen Potenzialen befasst", so Michael Bernatek vom AOK-Bundesverband.

"Allerdings stehen wir bei dieser Bewegung noch ziemlich am Anfang, und die Entwicklungen konzentrieren sich derzeit schwerpunktmäßig auf telemedizinische Anwendungen. In der regelhaften Hilfsmittelversorgung sind die Wearables noch nicht angekommen, da sie sich vielfach auch im Forschungsstadium befinden."

Aber der Gesetzgeber hat mit dem neuen Versorgungsstrukturgesetz seit Januar 2012 einen Zugang für die Telemedizin eröffnet: Paragraf 87 SGB V legt fest, dass der Bewertungsausschuss "bis spätestens 31.10.2012" prüft, "in welchem Umfang ambulante telemedizinische Leistungen erbracht werden können".

Geringen Chancen auf GBA-Regelung

Bis Ende März 2013 sollen eventuelle Anpassungen des EBM stehen. Hier geht es um Leistungen, die bereits auf andere Weise erbracht werden und möglicherweise nun einen IT-gestützten Weg zum Patienten finden könnten.

Sie sollen als "Einzelleistungen oder Leistungskomplexe" vergütet werden oder im Rahmen der hausärztlichen Versorgung als Versichertenpauschalen.

"Die IT-Anwendungen werden kommen, ohne Zweifel. Allerdings sehe ich wenige Chancen, die Bezahlung über den GBA zu regeln", meint Gesundheitssystemforscher Professor Volker Amelung.

"Wenn neue Versorgungsstrukturen in den Markt sollen, dann müssen sie aber vergütet werden." Amelung will klein anfangen: "Telefonate oder SMS-Reminder etwa für chronisch Kranke sollten eigens bezahlt werden."

Was den Weg des Geldes angeht, setzt er derzeit noch auf bewährte Pfade: "Mit IV-Verträgen ist man gut beraten."

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