Cebit 2017

Digitalisierung ohne Selbstverwaltung?

Noch bis Freitag ist Hannover als Schauplatz der CeBIT einmal mehr das Mekka der Computerbranche. Für eine zunehmende Zahl von Ausstellern ist Gesundheit ein Thema. Doch Projekte der Selbstverwaltung sucht man vergebens.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens kann man derzeit leicht den Überblick verlieren: Eine Veranstaltung jagt die andere – überall wird über die unaufhaltsam zunehmende Bedeutung digitaler Prozesse für die Patientenversorgung geredet; Ärztevertreter verweisen auf Erfolgsmeldungen über neue EBM-Ziffern wie die Videosprechstunde oder das Telekonsil in der Radiologie sowie den Start des Pilotprojekts für den Online-Rollout der Gesundheitskarte (eGK).

Darüber hinaus gibt es aber auch mehr als genug Tataren-Meldungen, etwa dass die Bedrohung von Gesundheitsdaten oder auch von elektronisch gesteuerten Medizingeräten wie Insulinpumpen oder Herzschrittmacher durch Viren und Hacker immer relevanter wird; oder dass das zweite Pilotprojekt der Telematikinfrastruktur im Südosten der Republik immer noch nicht aus den Startlöchern kommt; oder dass die Anzahl der ausgegebenen Arztausweise, die für eine sichere Kommunikation im Internet gebraucht werden, nur kleckerweise zunimmt. Also, wo steht das deutsche Gesundheitswesen nun, wenn es um die Digitalisierung geht?

Besuch der CeBIT vergebens?

Da könnte die große Computer- Leistungsschau CeBIT, die von Montag bis Freitag in Hannover läuft, eine gute Gelegenheit sein, um sich auf den aktuellen Stand zu bringen. Doch weit gefehlt – die Verwirrung wird sogar noch größer!

Denn unter den Ausstellern sucht der Gesundheitstelematik-Interessierte die gematik, die für den Aufbau des europaweit größten IT-Infrastrukturprojekts zuständig ist, vergebens. Auch die großen Krankenkassen wie AOK oder TK sind in Hannover nicht präsent.

Übrigens auch nicht beim groß angekündigten "CeBIT Digital Summit: d!conomy Healthcare", einer Konferenz innerhalb der CeBIT zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Dort werden Vertreter von Start-ups ebenso zu finden sein wie von der Pharmaindustrie, auch Unternehmensberater und Gesundheitspolitiker wie Professor Karl Lauterbach (SPD) dürfen nicht fehlen. Aber Vertreter der Ärzte oder der Krankenkassen? Fehlanzeige!

Sendepause lässt tief blicken

Das mag auch an der Hybris der Veranstalter liegen, die vielleicht meinen, das Gesundheitssystem ohne die wichtigsten Mitspieler umgestalten zu können. Auch der Markt hat sich geändert – reine Gesundheits-IT- Anbieter sind jetzt eher bei der conhIT in Berlin als in Hannover bei der CeBIT zu finden. Aber dass der Dialog zwischen Computerindustrie und Selbstverwaltung mittlerweile so reduziert ist, lässt tief blicken.

Das Konzept zur Telematikinfrastruktur wurde vor fast 15 Jahren der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt noch selbstverständlich bei der CeBIT übergeben. Die Industrie hat seitdem in der Erwartung von Entscheidungen der Selbstverwaltung viele Millionen Euro investiert – und als die Entscheidungen dann nicht kamen, sich nach und nach aus den Projekten zurückgezogen.

Bis heute bewegt sich die Selbstverwaltung in Sachen Digitalisierung wie die Echternacher Springprozession, zwei Schritte vor, mindestens einer zurück. Ein Beispiel von vielen ist der E-Arztbrief: Er soll in diesem Jahr gefördert werden, doch die "Förderung" sieht so aus, dass faktisch die Honorierung der Uralt-Billigtechnik Übermittlung per Fax höher liegt als die für den Arztausweis-gestützten Versand der E-Arztbriefe. Noch dazu hat die KBV im letzten Augenblick den von der KV-Telematik, ihrer eigenen Tochter(!), gesetzten Standard weiter verschärft – mit dem Resultat, dass der Arztbriefversand per Datenleitung weitgehend zum Erliegen gekommen ist.

Und während die Selbstverwaltung nicht will oder nicht kann, entwickelt die IT-Industrie neue Produkte, die das Gesundheitswesen vielleicht schneller verändern werden, als es sich die Ärzte heute vorstellen können. Es ist bezeichnend, dass selbst ein großer Player wie die Techniker Krankenkasse in Sachen Patientenakte nicht allein auf die Telematikinfrastruktur setzt, sondern auf den Industriepartner IBM.

Die CeBIT dürfte insofern auch 2017 wieder zum Trendsetter für Gesundheits-IT werden. Schade nur, dass die Ärzte von dieser Entwicklung weitgehend abgekoppelt sind.

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System