Die Angst vor Schweinegrippe lässt nach

Immer noch sterben Menschen in Deutschland an der Schweinegrippe. Dennoch ist die Nachfrage nach der Impfung spürbar zurückgegangen, berichten Ärzte aus ihren Praxen.

Von Angela Mißlbeck und Julia Frisch

Vor einem Monat schien es noch so, als ob sich Ärzte und Gesundheitsämter auf einen dauerhaften Ansturm von Impfwilligen einstellen müssten. Nach einigen Todesfällen, die mit H1N1-Infektionen in Verbindung gebracht wurden, war es bei vielen Deutschen mit der bis dahin gezeigten Gelassenheit in Sachen Schweinegrippe erst einmal vorbei: Vor einer Impfstelle in Düsseldorf bildete sich eine Riesen-Schlange, 1000 Menschen wollten sich dort an einem Montag auf einmal impfen lassen. Auch dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wurden fast die Türen eingerannt, dort vor allem von Familien mit Kindern. Unter anderem wegen der plötzlich gestiegenen Nachfrage nach der Impfung wurden die Vorräte an Vakzine knapp.

Oft mehr Impfungen gegen saisonale Grippe

Wochen später scheint sich die Lage entspannt zu haben. Nachrichten wie zuletzt über einen 48-jährigen Mann, der mit H1N1 infiziert war, an einer lebensbedrohlichen Grunderkrankung litt und am Dienstag in Frankfurt am Main gestorben ist, scheinen ihren Schrecken verloren zu haben. "Wir haben den Eindruck, dass es diese Woche etwas ruhiger geworden ist", sagt Allgemeinmedizinerin Sabine Muhme aus der Hausärztlichen Gemeinschaftspraxis in Berlins ältester Poliklinik "Haus der Gesundheit" am Alexanderplatz. Doch auch in den letzten Wochen seien die meisten Patienten mit nur leichten Atemwegsbeschwerden gekommen. Sie werden meist gar nicht auf Schweinegrippe getestet, es sei denn das Ergebnis wäre therapierelevant. Einen dramatischen Verlauf einer Schweinegrippeerkrankung hat die Hausärztin noch bei keinem Patienten beobachtet. Sie hat den Eindruck, dass die Grippewelle in diesem Jahr nicht schlimmer verläuft als im letzten Jahr. Daher stellt sie auch keinen besonderen Aufwand fest. Eine kleine Umfrage der "Ärzte Zeitung" hat ähnliche Ergebnisse gebracht.

"Die Nachfrage nach der Impfung gegen die Schweinegrippe hat sehr stark nachgelassen", berichtet Dr. Christine Nagler, Allgemeinärztin aus Offenbach. Gleiches sagen ihre Kollegin Diplom-Medizinerin Petra Hönigschmid aus Torgau, Dr. Reinhard Neubronner aus Goslar und Dr. Frank-Dieter Braun aus Biberach. 350 Impfungen gegen das H1N1-Virus hat Braun bisher vorgenommen. 140 waren es bei Neubronner, darunter "relativ viele Muslime". Zehn bis 22 Impfungen pro Woche fallen bei Hausarzt Dr. Hans Eichinger aus Biebesheim an. "Verglichen mit rund 520 Impfungen gegen saisonale Grippe in drei Monaten ist das mengenmäßig nicht viel", so Eichinger.

Auch Dr. Hans-Georg Müller aus Feuchtwangen hat bislang mehr Patienten (etwa 400) gegen saisonale Grippe als gegen H1N1 (rund 100) geimpft. Organisatorisch haben die Niedergelassenen die Impfungen offenbar gut im Griff. Die Berliner Ärztin Sabine Muhme hat einen festen Tag in der Woche für die Impfungen reserviert. Spezielle Sprechstunden bietet auch Petra Hönigschmid an. Reinhard Neubronner bestellt jeden Tag zehn Impfwillige in die Praxis zu Zeiten, da alle seine Arzthelferinnen da sind. Über Knappheit bei den Impfstoffen berichtet keiner der niedergelassenen Ärzte. Manche Patienten erscheinen nicht zum Termin

Die nachlassende Furcht vor H1N1 macht den Praxischefs mittlerweile aber auch einen Strich durch die Rechnung. Diese Woche hätten die ersten Patienten ihren Impftermin abgesagt, erzählt Muhme. Ein Problem, mit dem auch Christine Nagler zu kämpfen hat. Sie ärgert sich vor allem über Patienten, die einfach nicht zum Termin erscheinen. Mit vielen unentschlossenen Patienten hat Allgemeinarzt Hans Eichinger zu tun, "sie lassen sich daher nur schwer für einen Termin einplanen".

Um andere Praxisbesucher vor einer möglichen Ansteckung zu schützen, kommen bei Hönigschmid Patienten mit fieberhaften Erkrankungen in einen Extra-Wartebereich. Hausärztin Nagler erbittet bei hohem Fieber vorherige telefonische Kontaktaufnahme. Wer unangemeldet in die Praxis komme, werde isoliert. Am Donnerstag hat sich die Berliner Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) gegen Schweinegrippe impfen lassen. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür", sagte Lompscher. Die Impfung für die breite Bevölkerung habe begonnen und es sei nicht klar, ob der zweiten Welle, die jetzt ausklingt, noch eine dritte folge. "Daher ist Impfung immer noch der beste Schutz", so Lompscher.

Die Berliner Senatsgesundheitsverwaltung verzeichnet laut Lompscher "aktuell keine Problemmeldungen" im Zusammenhang mit der Schweinegrippe-Impfaktion. 837 Impfstätten, davon 723 Arztpraxen, hat die Behörde derzeit registriert. Bis zum gestrigen Donnerstag hat die Hauptstadt 434 500 Impfdosen erhalten. Am 1. Dezember waren 257 200 Dosen an die Impfstätten ausgeliefert. Die Lagerbestände sind klein. Wieviele Dosen bisher tatsächlich verimpft wurden, ist noch nicht bekannt.

Sagen Sie uns Ihre Meinung!

Wie hoch ist die Nachfrage nach der Schweinegrippe-Impfung in der Praxis? Wie bewältigen Sie die Anfragen organisatorisch? Ist genug Impfstoff vorhanden? Wie schützen Sie Patienten vor möglicher Ansteckung? Haben Sie Erkenntnisse, wie viele H1N1-Infizierte unter Patienten mit grippalen Infekten sind? Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Und so erreichen Sie uns:

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Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Schweinegrippe: Zwischentief bei den Impfungen? Weitere aktuelle Berichte, Bilder und Links zum Thema Schweinegrippe (Neue Grippe) finden Sie auf unserer Sonderseite

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