Medizinstudium ohne Abitur: Es wird den Arzthelferinnen nicht gegönnt!

Dass jetzt in Niedersachsen drei Jahre Berufserfahrung als Arzthelferin reichen, um fürs Medizinstudium zugelassen zu werden, sorgt nicht nur für Lobeshymnen. Vor allem Ärztevertreter wettern gegen das Studium ohne Abitur.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Mit Realschulabschluss und drei Jahren Berufserfahrung sollen Arzthelferinnen künftig in den Medizin-Hörsaal dürfen. © di

Mit Realschulabschluss und drei Jahren Berufserfahrung sollen Arzthelferinnen künftig in den Medizin-Hörsaal dürfen. © di

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Könnten Medizinische Fachangestellte (MFA) dem Ärztemangel abhelfen? Niedersachsens Kultusminister Lutz Stratmann (CDU) jedenfalls will ihnen und vielen anderen Arbeitnehmern den Zugang zu den Universitäten ebnen, und zwar ohne Prüfung. Drei Jahre Berufserfahrung und ein berufsbezogenes Studienfach genügen. So hat es das Kabinett aus CDU und FDP in Niedersachsen im Zuge der Novellierung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) beschlossen (wir berichteten).

Von der Arzthelferin zur Chefärztin, von der PTA zur Apothekerin? Mit der Novellierung würde erfahrenes Praxispersonal mit Abiturienten gleichgestellt. "Damit tragen wir den geänderten Verhältnissen Rechnung, die vor allem durch den anstehenden demografischen Wandel und den Fachkräftebedarf sowie durch die Exzellenzinitiative auf die Hochschulen zukommen", erklärte Stratmann. Unis und Ärzteverbände sehen den Vorstoß sehr kritisch.

"Das Ganze ist politischer Aktionismus, der zu nichts führt", schimpft Dr. Bernd Lücke, Chef des Niedersächsischen Hartmannbundes. Für ihn ist der Vorstoß in Niedersachsen schlicht "ein Zeichen dafür, dass die Politik nicht weiß, was sie tut."

Mit dem Beschluss setzte das Kabinett in Hannover den Beschluss der Kultusministerkonferenz vom März 2009 um. "Darin ging es um die Öffnung der Universitäten für beruflich Qualifizierte", so Kurt Bernhard Neubert, Sprecher im Kultusministerium. Es gehe um die Demokratisierung des Uni-Zuganges. Derzeit dürfen nur Meister, Techniker, Betriebswirte oder besonders begabte Berufstätige und zwar über Stipendien ohne Abitur studieren. "In Zukunft müssen alle Länder entscheiden, wie sie den Beschluss umsetzen." Das Gesetz regele nur den Zugang zu den Hochschulen, betonte Neubert, "über die Zulassung entscheiden die Hochschulen." Sie hätten damit auch das Problem, wie sie die Bewerberinnen aus den Arztpraxen in das Numerus-clausus-System einordnen.

Beim Verband medizinischer Fachberufe ist man dem Vorschlag aus Hannover sehr zugetan. "Wir befürworten den Vorschlag sehr", sagte Sabine Ridder, Präsidentin des Verbandes, zur "Ärzte Zeitung", "allerdings haben die meisten medizinischen Fachangestellten, die sich heute zu einem Studium entschließen, bereits Fachabitur oder Abitur." Zahlen liegen dem Verband nicht vor, hieß es. "Nur bei den Freisprechungsfeiern berichten die jungen Frauen von ihren Plänen", sagte Ridder.

Fakultäten und Ärzteverbände kritisieren den Vorstoß. "Wir sehen die Entwicklung mit Sorge", sagt Verena Kegeler von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), "schon jetzt sind die Hörsäle überfüllt. Wo sollten wir zusätzliche Studierende unterbringen?" Dr. Bernd Lücke vom Hartmannbund findet Medizinische Fachangestellte zu unqualifiziert für´s Medizinstudium. "Weder Realschulabschluss noch drei Jahre Berufsschule und schon gar nicht drei Jahre Berufserfahrung vermitteln die für das Medizinstudium zwingend erforderlichen naturwissenschaftlichen Grundlagen", hieß es.

Mit der Regelung würden Studienabbrecher produziert. "Das bedeutet noch weniger Ärzte", so Lücke. Es gebe mehr als genug Bewerber für einen Studienplatz in Niedersachsen, statt weitere zu produzieren, müsste das Studienplatzangebot erhöht werden. "Wenn Herr Minister Stratmann mit diesem Gesetzentwurf tatsächlich die ärztliche Versorgung in Niedersachsen verbessern will, dann sollte er sich vor Augen führen, dass von 2003 bis 2010 mindestens 2000 Ärzte weniger in Niedersachsen ausgebildet wurden als zwischen 1996 und 2003." Für Bewerberinnen aus den Arztpraxen stünden bereits bewährte Wege zur Verfügung, an die Universitäten zu kommen.

Tatsächlich steht Medizinischen Fachangestellten ohne Abitur schon heute ein Weg offen, Medizin zu studieren - wenn auch ein beschwerlicher. Sie können etwa an der MHH über die Immaturenprüfung direkt mit den Abiturienten gleichziehen und sich bewerben. "Wir hatten im vergangenen Jahr insgesamt 36 Prüflinge", so Kegeler von der MHH. Wer den Marathon aus Mathematik, Naturwissenschaften, Englisch und weiteren freien Fächern bestand, wurde je nach Notenschnitt sofort in das MHH-Auswahlverfahren aufgenommen (beim Durchschnitt "1,5") oder muss bis zu drei Jahre warten (etwa beim Notenschnitt von "3"). Mit dem neuen Gesetz fielen solche Prüfungen weg. Im Frühsommer 2010 soll der Kabinettsbeschluss im Landtag beraten werden.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kein Geheimrezept gegen Ärztemangel

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